© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006

Auf die weibliche Karte gesetzt
Frankreich: Sozialisten küren Ségolène Royal zur Präsidentschaftskandidatin / Niederlage für Parteigranden
Alain de Benoist

Marie-Ségolène Royal hat sich durchgesetzt. Nach drei Fernsehdebatten, in denen sie gegen Ex-Industrieminister Dominique Strauss-Kahn und Ex-Premier Laurent Fabius antrat, kürten 60,6 Prozent der 218.700 Mitglieder (davon 68.000 Neuzugänge) der Sozialistischen Partei (PS) die 53jährige Chefin des Regionalrats von Poitou-Charentes zu ihrer Kandidatin für die französischen Präsidentschaftswahlen im April 2007. Nach den guten Umfragewerten war ihr Sieg bei einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von über 82 Prozent keine Überraschung. Die vorangegangene Debatte beurteilten die meisten als "beispielhaft". Als sie das Abstimmungsergebnis erfuhr, zeigte sich die charmante und dabei äußerst autoritäre Anwältin zuvorderst "glücklich". Freilich bedeutet ihre Nominierung eine unbestreitbare Wende im politischen Leben Frankreichs.

Feminisierung der französischen Gesellschaft

Zunächst einmal ist es der Sieg einer Frau. Noch vor wenigen Jahren lehnte die Mehrheit der Franzosen die Vorstellung einer Staatschefin ab. Die Zeiten sind vorbei. Derzeit zeigen die Umfragen, daß Royals Geschlecht noch vor allen politischen Erwägungen der Hauptgrund für ihre Beliebtheit ist. Und die Lebensgefährtin von Sozialistenchef François Hollande hat ihrerseits eindeutig auf die "weibliche" Karte gesetzt.

Eine Rolle spielt hier sicherlich die beträchtliche Feminisierung der Gesellschaft und ihrer politischen Klasse - Verteidigungsministerin ist die Neogaullistin Michèle Alliot-Marie, Marie-Georges Buffet (Kommunisten), Dominique Voynet (Grüne) und Arlette Laguiller (Trotzkisten) sind Präsidentschaftskandidatinnen für 2007, und Marine Le Pen begleitet Spitzenämter im Front National (FN). Allerdings ist es das erste Mal, daß eine Frau eine derart hohe Position in einer der großen Parteien erlangt.

Den Rest besorgte Royals Verführungskraft. Es ist keine Übertreibung zu behaupten, daß unter den Franzosen eine Sehnsucht (und Neugier) herrscht, eine Frau als Staatsoberhaupt zu sehen. Wenn es soweit kommt, würde aus dem deutsch-französischen Verhältnis eine Frauenfreundschaft.

Royals Erfolg markiert aber auch den Sieg eines neuen Stils, der sich als "populistisch" bezeichnen läßt. Während Fabius und Strauss-Kahn als klassische Vertreter des Parteiensystems gelten können, hat Royal von Anfang an das direkte Gespräch mit dem Volk gesucht und stets betont, in seinem Namen zu sprechen. Der Akzent, den sie den gesellschaftlichen Problemen gibt, ist bezeichnend. 1992/93 Umweltministerin in der Regierung von Pierre Bérégovoy, will sie Schwerpunkte bei der Umwelt-, Bildungs- und Sicherheitspolitik setzen.

Als Befürworterin von partizipativer Demokratie und Dezentralisierung ist sie zugleich die Stimme der Regionen gegen Paris (wo magere 47 Prozent der Parteimitglieder für sie stimmten). Ihre Strategie besteht im engen Kontakt mit der Gesellschaft, um die echten Interessen der Bürger zu kennen. Sie möchte die Menschen zum Sozialismus bringen, statt von oben herab die Anweisungen der Partei an sie heranzutragen. Nun pflegt ihr Hauptrivale, der amtierende Innenminister Nicolas Sarkozy, seinerseits einen sehr populistisch angehauchten Stil. So kündigt sich die bevorstehende Präsidentschaftswahl an als Konfrontation zwischen zwei Anhängern einer direkten Verbindung zwischen Regierung und Volk unter Umgehung der längst diskreditierten Parteiapparate.

Fabius stand für eine politische Linie, die ihre Wurzeln eindeutig auf der Linken hat, Strauss-Kahn für die Sozialdemokratie klassischen Typs. Damit bedeutet die Nominierung Royals eine Neuorientierung der PS, womöglich gar eine endgültige Abwendung von der Mitterrandschen Tradition, wie Kritiker klagen. So öffnet sich eine Lücke am linken Ende des politischen Spektrums. Die dort angesiedelten Parteien müssen in den kommenden Wochen ihre Präsidentschaftskandidaten aufstellen.

Bereits vor einigen Jahren hatte der Soziologe Pierre Bourdieu Royal als "Rechte" bezichtigt. Nun führen linke Gegner ihre Herkunft ins Feld: Sie wurde 1953 als viertes von acht Kindern eines französischen Kolonialoffiziers im Senegal geboren und wuchs in einem rechtskatholisch geprägten Umfeld auf. Andere werfen ihr "Sozialliberalismus" vor oder daß sie Sympathie für manche Ideen Tony Blairs geäußert habe. Auch bemühe sie sich mehr um die politische Mitte als um eine Sammlung der Linken. Aus den eigenen Reihen heißt es immer wieder, sie gehe zu sehr auf Distanz zum offiziellen Parteiprogramm.

Erziehungseinrichtungen für jugendliche Straftäter

Solche Vorwürfe sind stark übertrieben. Wahr ist, daß Royal mit manchen ihrer Vorschläge um Stimmen von rechts wirbt. Zum Beispiel stellt die vierfache Mutter die 1963 eingeführte Carte Scolaire, die Zuordnung der Kinder nach Wohnbezirken, in Frage und will Eltern mehr Freiheit bei der Schulwahl einräumen. Ebenso spricht sie sich für "militärische" Erziehungseinrichtungen für jugendliche Straftäter aus. Ansonsten vertritt sie eher klassisch linke Positionen. Ihr Wahlkampfprogramm ist vage und heterogen, zugleich aber originell genug, um ihren unaufhaltsamen Aufstieg zu erklären.

Noch ist es zu früh, um ihre Chancen auf einen Wahlsieg einzuschätzen. Sicher ist, daß Royal bestens positioniert ist, um außerhalb ihrer Stammwählerschaft Stimmen zu sammeln. Wenn überhaupt jemand Sarkozy schlagen kann, dann sie. Dafür spricht nicht zuletzt, daß der Haß zwischen Sarkozy und Präsident Jacques Chirac einen Grad erreicht hat, der erwarten läßt, daß letzterer alles tun wird, um zu verhindern, daß der Kandidat der Regierungspartei UMP im April die zweite Wahlrunde erreicht. Dies könnte wiederum Jean-Marie Le Pen (FN) beim Sammeln der für eine Kandidatur notwendigen Unterschriften von 500 Bürgermeistern zugute kommen. Denkbar ist auch, daß der Präsident Alliot-Marie zu einer Kandidatur ermutigt. Fest steht, daß dieser Wahlkampf für einige Überraschungen gut sein könnte.


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