© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006

Der Feind im eigenen Sender
Zeitgeschichte: Die ZDF-Dokumentation über die Machenschaften der DDR-Staatssicherheit gegen den Mainzer Sender blieb viele Antworten schuldig
Thorsten Hinz

Es war alles vorhanden, was für gute Einschaltquoten gebraucht wird: düstere Originalschauplätze, fernsehbekannte Zeitzeugen, die in dieser Rolle (im Unterschied zu den Goebbels-Sekretärinnen und Hitler-Leibwächtern des Guido Knopp) unverbraucht sind, spannende Geschichten um Menschen, Medien und Geheimdienste, um Lug, Trug und Verrat, und das alles vor der zeitnahen Kulisse des Kalten Krieges, die andererseits lange genug versunken ist, um mit wohligem Schauer erinnert zu werden. Doch das ZDF versteckte "Die Feindzentrale", seine zweiteilige Dokumentation über die Infiltrationsversuche der Stasi gegen den Mainzer Sender, auf Sendeplätzen nach Mitternacht und damit vor den Zuschauern.

Wozu ein Film, wenn keiner ihn sehen soll? Die Unentschlossenheit der Programmplanung durchzog auch die Dokumentation selbst. Die Stasi und der Westen - noch immer stehen mächtige Interessengruppen der Aufarbeitung dieses Kapitels entgegen.

Aus Sicht der DDR waren die westdeutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten Organe der ideologischen Diversion des imperialistischen Klassenfeindes. So wurde es von der SED-Führung empfunden, im Schulunterricht gelehrt und von der Stasi praktiziert. Seit der Gründung des ZDF 1963 versuchte sie, Informanten zu gewinnen oder einzuschleusen. Die ZDF-Korrespondenten in Ost-Berlin standen ohnehin unter Dauerbeobachtung, die Telefonate wurden abgehört, selbst vor Einbrüchen in das ZDF-Büro schreckte man nicht zurück.

In der DDR-Propaganda galt das ZDF noch um eine Spur feindlicher als die ARD. Das lag vor allem an Gerhard Löwenthal und seinem ZDF-Magazin (JF 47/06; siehe auch den untenstehenden Beitrag). Löwenthal wurde zum "Kalten Krieger" und Feind der deutsch-deutschen Verständigung gestempelt. Der Grund: Er gestattete sich keine Illusionen über die Lage, in der das geteilte Deutschland sich auch in der Phase der Entspannungspolitik befand, und betonte penetrant den Unterschied zwischen dem Rechtsstaat (in dem es keineswegs immer gerecht zugeht) und dem Unrechtsstaat, dem der Rechtsbruch als Prinzip zugrunde liegt. Zum einen, um die Menschen in der SED-Diktatur nicht noch ein zweites Mal zu entmündigen, und zweitens, weil der Rechtsstaat ein sehr zerbrechliches Gut darstellt, dem die Begriffsverwirrung, die mit der Entspannungspolitik Einzug hielt, auf Dauer schlecht bekommen mußte.

"Kalter Krieger" sollte auch nahelegen: ewiggestrig, blindwütig, irgendwie unzurechnungsfähig. Daran knüpften jene im Westen an, die in der DDR-Propaganda die "realistischen Kräfte" hießen und sich selber so fühlten. Sie stellten Löwenthal gleichfalls als Fossil hin, das die Dogmatiker in der SED stärkte und damit den Dialog mit den ebenfalls "realistischen Kräften" in der DDR blockierte. Es entstand eine merkwürdige Ost-West-Kumpanei, deren Voraussetzungen vom Westen völlig falsch eingeschätzt wurden. Denn in dieser Logik hätte die SED-Führung Löwenthal und seiner Sendung ja das ewige Leben wünschen müssen - als Bestandsgarantie für sich selbst.

Dank der ZDF-Dokumentation weiß man nun aus erster Hand, daß es genau umgekehrt war. Löwenthals zweiwöchentliche Sendung, in der die "Hilferufe von drüben" einen festen Platz hatten, löste bei Stasi-Chef Erich Mielke Wutanfälle aus. Einen besseren Gradmesser für die Richtigkeit und Wichtigkeit des ZDF-Magazins kann es gar nicht geben.

Dazu paßt ein weiteres (im Film ungenannt gebliebenes) Detail: Die DDR-Satirezeitschrift Eulenspiegel unterhielt eine Extra-Rubrik "Gerhard Löwenqual", in der Löwenthals Journalismus pseudo-satirisch in die Nähe der Goeb-bels-Propaganda gerückt wurde. Sogar auf diplomatischem Weg wurde die DDR aktiv. Tatsächlich wurde das ZDF-Magazin 1987, dem Jahr des Honecker-Besuchs, abgesetzt, allerdings, wie der Film versichert, nicht durch den langen Arm Erich Mielkes, sondern im Zuge der "political correctness". Das sollte beruhigend klingen, muß aber aufschrecken.

Die Vorstellung, daß im ZDF geschickt plazierte oder bestochene Einflußagenten die Programm- und Personalpolitik manipulierten, ist unangenehm genug, aber noch erträglich, denn der Mauerfall hat die Fäden gekappt, an denen diese Marionetten hingen. Wenn im Sender aber eine politische Haltung mehrheitsfähig war, die von sich aus den Intentionen und Wünschen der Mielke-Bande entgegenkam, dann kann man davon ausgehen, daß sie weit über 1990 heraus wirksam geblieben ist und bis heute Schaden anrichtet.

Wirkte die Stasi via ZDF in die Bundesrepublik hinein?

Genau hier stieß die Dokumentation an ihre Grenze. Die Entscheidungsprozesse wurden nicht transparent gemacht, keine Beschlußvorlagen, Sitzungsprotokolle, Aktennotizen, Briefwechsel des ZDF zitiert. Autor Christhard Läpple erweckte den Eindruck, als hätten sich die Stasi-Aktivitäten auf das Abschöpfen von Mitarbeitern und das Anlegen von personenbezogenen Akten beschränkt. Er drang nicht zu der Frage durch - durfte wohl nicht -, wieviel Einfluß die Stasi auf Personen, Inhalte, Programmprofile genommen, kurzum: wie sie via ZDF in die Bundesrepublik politisch hineingewirkt hatte. Hier liegt der neuralgische Punkt: Der Westen, vor allem seine fortschrittlich-realistischen Kreise, wagt es nicht, an die Tatsache zu rühren, daß die eigene Geschichte ohne die der DDR und der Staatssicherheit unvollständig ist.

Und so fiel die Sendung, nachdem die "Causa Löwenthal" - inkonsequent genug - im ersten Teil abgehandelt war, im zweiten deutlich ab. Die endlose Diskussion um und mit dem Journalisten Dietmar Schumann, der seine Karriere als Auslandskorrespondent in der DDR begonnen und nach 1990 einige Jahre beim ZDF gearbeitet hatte, ob er wissentlich oder unwissentlich als IM geführt wurde, brachte nichts Neues.

Der Beitrag über den früheren Ost-Berlin-Korrespondenten Michael Schmitz mußte nach einer Intervention der Birthler-Behörde umgetextet werden. Zunächst war er fälschlich als IM bezeichnet worden. Wer Schmitz' Berichterstattung seinerzeit als DDR-Zuschauer erlebt hatte, dem war diese Behauptung sowieso zweifelhaft erschienen. Anfang 1989 hatte er die auf einer Festveranstaltung eingeschlummerte Altherrenriege des SED-Politbüros gezeigt und giftig kommentiert: "Erich Honecker träumt davon, daß die Mauer noch hundert Jahre steht." Will sagen: Die Frage nach der Ost-West-Kollaboration kann nicht nur nach Aktenlage, sie muß auch politisch beantwortet werden. Dieser Aufgabe ist die ZDF-Dokumentation ausgewichen.

Die Dokumentation "Feindzentrale" kann man sich im Internet unter www.zdf.de und dort unter der Rubrik "ZDFmediathek" ansehen.

Foto: Im Visier des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS): Merkwürdige Ost-West-Kumpanei


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