© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006

"Die Deutschen sind in der Minderheit"
Integration: Eine Erzieherin erzählt von ihren Erfahrungen in Berliner Kindergärten / Winter- und Frühlingsfeste statt Weihnachten und Ostern
Anni Mursula

Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll", sagt eine Berliner Erzieherin und ist sichtlich bedrückt. Sie arbeitete jahrzehntelang in einem öffentlichen Kindergarten in einem Westberliner Arbeiterbezirk. Heute ist Beate Schultz, die wegen des heiklen Themas ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, arbeitslos. Die offiziellen Gründe für die Kündigung waren die üblichen: Stellenabbau und fehlendes Geld. Aber womöglich war Schultz für ihre Chefin, die selber einen "Migrationshintergrund" hatte, "zu deutsch".

Denn in dem besagten Stadtteil wohnen überwiegend Ausländer. In den dortigen Kindergärten sind teilweise keine deutschen Kinder mehr anzutreffen. "Und wenn dann doch Familien dablieben und ihre Kinder in unsere Einrichtung schickten, waren diese in der krassen Unterzahl: Im Schnitt waren von hundert Kindern maximal fünf deutsch", sagt Schultz. "Wenn das Verhältnis so ist, sind die ausländischen Kinder nicht mehr integrierbar. Denn wohin sollen sie integriert werden? Sie stellen doch so die Mehrheitskultur, und die Deutschen sind in der Minderheit."

Auch im Alltag des Kindergartens habe sich die veränderte Kulturdominanz widergespiegelt: In diesen Einrichtungen wurde nicht mehr ausdrücklich Weihnachten oder Ostern gefeiert, sondern diverse Winter- oder Frühlingsfeste. Auch in der Lehrerschaft und in der Leitung der Einrichtung gehörte Beate Schultz zur Minderheit: Die meisten Erzieher waren selber Einwanderer, die anderen lebten in binationalen Ehen.

"Ich habe unter anderem Türkisch lernen müssen"

Am Ende sei sie die einzige gewesen, die nicht in dieses Muster paßte. Die anderen Deutschen hätten bereits vor langer Zeit von sich aus gekündigt. Schließlich wurde von ihr Anpassung beziehungsweise regelrechte Integration gefordert. "Ich habe unter anderem Türkisch lernen müssen, um mich mit den Eltern unterhalten zu können", erzählt sie. Die anderen Erzieherinnen hätten längst Türkisch gekonnt, da sie schließlich selber türkischer Herkunft waren. Das habe ihre Arbeit erleichtert und sie im Gegensatz zu Schultz bei den Eltern beliebt gemacht. "Ich frage mich, wer in diesem Land eigentlich noch die Integrationsarbeit leisten soll, wenn die Stellen, die dafür eigentlich verantwortlich wären, selber von Migranten besetzt sind", sagt sie.

Nach langen Jahren engagierter Arbeit in der Einrichtung wurde Beate Schultz letztlich von Kollegen und Vorgesetzten aus ihrer Stelle herausgedrängt. Es folgte Arbeitsunfähigkeit und Reha - sie war ausgebrannt. Nun ist sie beim Arbeitsamt gemeldet und wartet auf eine neue Stellung. "Aber wer will mich schon einstellen", fragt die 55 Jahre alte Berlinerin. "Es gibt keine Arbeit mehr für Erzieher. Vor allem nicht mehr in den 'guten Bezirken'". Dort wolle schließlich jeder arbeiten. "Stellen gibt es nur noch in den ghettoisierten Bezirken mit hohem Ausländeranteil", sagt sie. "Aber dort möchte ich nicht mehr hin. Das kann ich einfach nicht mehr." Aber solche politisch unkorrekten Kriterien könne sie schlecht beim Arbeitsamt stellen, sagt sie.


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