© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Ein Minister als rettender Engel
Schleswig-Holstein: Trotz Schulden und leerer Kassen will die Landesregierung in Kiel eine Siedlung für Zigeunerfamilien mit 1,2 Millionen Euro unterstützen
Jochen Arp

Gerade hat der schleswig-holsteinische Landesrechnungshof der Großen Koalition in Kiel schwere Vorwürfe gemacht, daß von den groß angekündigten Sparanstrengungen zum Abbau der 21 Milliarden Euro Landesschulden nicht viel übriggeblieben sei, da erfährt man, daß das Land mal eben mit lockerer Hand 1,2 Millionen Euro ausgeben will, um eine speziell auf die Bedürfnisse von 13 Sinti-Haushalten
abgestellte Siedlung im Kieler Problemstadtteil Gaarden zu finanzieren.

Geplant - und so der Öffentlichkeit vorgestellt - war das alles ganz anders. Vor zwei Jahren erfuhr die gerade neu gewählte Kieler Ratsversammlung von der Verwaltung, daß die Stadt ein "Wohnprojekt für Sinti" durch die Gewährung von kommunalen Fördermitteln mitfinanzieren soll. 100.000 Euro sollten als Kommunaldarlehn bei zwei Prozent Tilgung und sechs zinsfreien Jahren zur Verfügung gestellt werden. Eine von den 13 Familien zu bildende Genossenschaft war als Träger des Bauprojekts vorgesehen. Da aber alle Familienmitglieder Sozialhilfeempfänger sind, könnte die Genossenschaft keine eigenen Mittel aufbringen. So wollte man zurückgreifen auf die staatliche Eigenheimzulage. Sympathisanten vor allem aus der grünen Szene wollten 10.000 Euro zuschießen, und weitere Gelder sollten durch Wohltätigkeitsveranstaltungen aufgebracht werden. Die zukünftigen Bewohner der Sinti-Häuser hatten zugesagt, Selbsthilfe im Rahmen eines Beschäftigungsprojektes in Höhe von 171.000 Euro zu leisten (JF 39/05).

Der Erbpachtvertrag mit der Genossenschaft, in dem die Finanzierung festgeschrieben werden sollte, war zwar immer noch nicht unterschrieben, doch begann man schon einmal mit der Rodung des für den Bau vorgesehenen Geländes.

Dann aber erlebte im Frühjahr dieses Jahres das optimistische Projekt einen herben Rückschlag: Ein Vorstandsmitglied der Sinti-Genossenschaft setzte sich mit 30.000 Euro inzwischen gesammelter Spenden ab. Gegen ihn wird immer noch ermittelt.

Der Stadtteil Gaarden gilt als sozialer Brennpunkt

Aber der rettende Engel ist schon unterwegs. Nun wurde bekannt, daß das Innenministerium unter seinem führungsstarken Minister Ralf Stegner (SPD) das Sinti-Wohnprojekt mit 1,2 Millionen Euro fördern will. Und es soll auf die Stadt Kiel (Schuldenstand 347 Millionen Euro) Druck ausüben, ihrerseits einige Euro draufzulegen. Dann kann es im März nächsten Jahres mit dem Bauen losgehen, damit die Sinti-Familien das Weihnachtsfest 2007 in ihrer eigenen Siedlung feiern.

Für 13 Familien sollen 1.200 Quadratmeter Wohnfläche errichtet werden; an dem Bau der Niedrigenergiehäuser wollen sich die Sinti mit 8.000 Stunden Eigenleistung beteiligen. "Wir wollen zeigen, daß Sinti etwas leisten können", sagte der Sinto Peter Leinweber vom Genossenschaftsvorstand.

Der Kieler Stadtteil Gaarden, in dem die Siedlung errichtet werden soll, war kürzlich in die Schlagzeilen geraten, weil die Sozialstatistik auswies, daß er im Begriff ist, sozial "abzukippen", wie sich die Oberbürgermeisterin ausdrückte.Was sich dort abspielt, "übertrifft jede Vorstellung": die höchste Arbeitslosigkeit, die ärmsten, dicksten und krankesten Kinder, die meisten Alleinerziehenden, wie die Regionalzeitung formulierte. In dem Stadtteil leben 5.000 Jugendliche von Hartz IV, Tendenz steigend. In der Hans-Christian-Andersen-Grundschule machen Schüler "mit Migrationshintergrund" 60 Prozent aus.

Kiel hat kein Geld, wirkungsvolle Maßnahmen zur Linderung der Lage einzuleiten. So mußte die Stadt den örtlichen Lions-Club bitten, ein mehrsprachiges Erinnerungsschreiben an türkische Eltern zu finanzieren, mit dem sie dringend gebeten werden, ihren Nachwuchs medizinisch untersuchen zu lassen.

Zwar betonen die Sinti, sie wollten verhindern, daß aus ihrer geplanten Siedlung ein Ghetto wird, doch sagt die Erfahrung, daß das fromme Wünsche sind. So erhält der soziale Brennpunkt Gaarden ein weiteres absehbares Problemgebiet.


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