© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Rasant wachsendes Geburtendefizit
Demographie: Deutlicher Bevölkerungsrückgang in Deutschland kaum noch zu verhindern / Prognose des Statistischen Bundesamtes
Tobias Westphal

Daß wir immer älter werden, ist eine Errungenschaft, über die wir uns freuen dürfen", ist hinsichtlich der neuesten Bevölkerungsprognose für Deutschland die einzige positive Bewertung durch das Bundesinnenministerium. Ansonsten geht man von "grundlegenden Anpassungen in Wirtschaft und Gesellschaft" aufgrund der Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2050 aus. Doch wie sehen die Ergebnisse der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes im einzelnen aus?

Die Geburtenzahlen werden in Deutschland künftig weiter zurückgehen. Diese niedrigen Geburtenzahlen führen dazu, daß auch die Anzahl potentieller Mütter immer mehr abnimmt. Die momentan geborenen Mädchenjahrgänge sind schon heute zahlenmäßig kleiner als die ihrer Mütter. Sind diese Mädchen einmal erwachsen und haben ebenfalls durchschnittlich weniger als 2,1 Kinder, wird die künftige Kinderzahl weiter sinken, weil dann noch weniger potentielle Mütter leben. Die jährliche Geburtenzahl wird deswegen von derzeit etwa 685.000 auf rund 500.000 im Jahr 2050 sinken. Damit wird die Zahl der Gestorbenen die Zahl der Geborenen immer deutlicher übersteigen.

Die Gründe für den Bevölkerungsrückgang sind somit eine stetige Abnahme der Geburtenzahlen und eine Zunahme der Sterbefälle. Weder eine etwas höhere Kinderzahl je Frau noch eine noch schneller steigende Lebenserwartung könnten den Rückgang der Bevölkerung verhindern. Dieses rasant wachsende Geburtendefizit wird auch nicht von einer Zuwanderung durch Ausländer kompensiert werden können.

Die Bevölkerungszahl in Deutschland wird deshalb weiter abnehmen. Derzeit hat Deutschland 82,4 Millionen Einwohner. Im Jahr 2050 werden es noch zwischen 69 und 74 Millionen sein. Dann wird die Bevölkerungszahl wieder unter dem Niveau des Jahres 1963 mit circa 75 Millionen Einwohnern liegen.

Immer weniger junge Deutsche

Die Zahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 20 Jahren wird auch fallen; sie wird schon im Jahr 2010 fast 10 Prozent niedriger sein als heute und dann weiter deutlich abnehmen. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen im Betreuungs- und Schulalter geht ebenso zurück wie die der jungen Menschen im Auszubildendenalter. Im Alter von 16 bis unter 20 Jahren gibt es heute knapp vier Millionen junge Menschen, doch schon im Jahr 2012 werden es nur noch etwa drei Millionen im ausbildungsrelevanten Alter sein.

Auch die Bevölkerung im Erwerbsalter (20 bis unter 65 Jahre) wird langfristig schrumpfen und zudem altern und damit stark durch die älteren Mitarbeiter geprägt sein. Bis etwa zum Jahr 2015 bleibt die Zahl der 20- bis unter 65jährigen stabil bei rund 50 Millionen. Ab dem Jahr 2030 beträgt sie nur noch 42 bis 44 Millionen und 2050 zwischen 35 und 39 Millionen. Dieser schrumpfenden Bevölkerung im Erwerbsalter werden jedoch künftig immer mehr Senioren gegenüberstehen.

Im Jahr 2005 entfielen auf 100 Personen im Erwerbsalter (20 bis unter 65 Jahre) 32 Ältere (65 oder mehr Jahre). Im Jahr 2030 wird dieser Altenquotient zwischen 50 und 52 und im Jahr 2050 zwischen 60 und 64 liegen. Die Zahl der 60jährigen wird mit gut einer Million im Jahr 2050 doppelt so hoch sein wie die Zahl der Neugeborenen; 2005 gab es fast genauso viele Neugeborene wie 60jährige. Die Zahl der ab 65jährigen steigt bis zum Ende der 2030er Jahre etwa um die Hälfte: von aktuell knapp 16 Millionen auf circa 24 Millionen. Die Zahl der 80jährigen und Älteren von heute nicht ganz vier Millionen wird sich auf 10 Millionen im Jahr 2050 nahezu verdreifachen. Zudem steigt die Lebenserwartung der 65jährigen bis 2050 um circa 4,5 Jahre.

Zuwanderung aus der Türkei und Nordafrika

Zum Schluß der Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes wird erörtert, aus welchen Regionen eine verstärkte Zuwanderung erfolgen könnte. Denn nach wie vor besteht ein demographisches und ökonomisches Gefälle zwischen Deutschland und den typischen Herkunftsländern sowie weiteren Ländern wie den südlichen Mittelmeeranrainern.

Zuwanderung könnte zum einen weiterhin aus der Türkei erfolgen, für die eine Bevölkerungszunahme um etwa 38 Prozent von aktuell 73 Millionen auf 101 Millionen im Jahr 2050 erwartet wird. Die Bevölkerung im aktiven Wanderungsalter von 20 bis 34 Jahren wird (im Gegensatz zu Deutschland) von aktuell 19,5 Millionen auf 19,9 Millionen im Jahr 2050 steigen.

Zu den Regionen, die bisher keine umfangreiche Zuwanderung nach Deutschland aufweisen, in denen aber die demographische Entwicklung zu hohem Abwanderungspotential führen könnte, gehört Nordafrika.

Die Bevölkerung Nordafrikas wird von aktuell 191 Millionen auf 310 Millionen im Jahr 2050 zunehmen ( plus 63 Prozent). Die Bevölkerung im aktiven Wanderungsalter von 20 bis 34 Jahren wird sich im gleichen Zeitraum von aktuell 50 Millionen auf 66 Millionen erhöhen ( plus 31 Prozent). Die Hälfte der Einwohner Nordafrikas wird im Jahr 2050 jünger als 36 Jahre sein. Es ist absehbar, daß es in den Ländern Nordafrikas allein aufgrund eines starken Bevölkerungswachstums zu einem stärkeren Abwanderungsdruck kommen kann, dessen erstes Ziel Europa sein könnte. Die Realisierung von Wanderungen wird jedoch durch politische Regelungen beeinflußt.


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