© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/06 10. November 2006

Die Kollegen hinter Gittern
Zum Tag des inhaftierten Schriftstellers: Der PEN-Club muß seine Hilfsmaßnahmen überdenken
Andreas Wild

Zum sechsundvierzigsten Mal nun schon veranstaltet heuer der internationale PEN-Club ("Vereinigung der Poeten, Essayisten und Romanciers") am 15. November seinen "Writers-in-Prison-Tag". An die "Schriftsteller im Gefängnis" soll dabei erinnert, ihrer ehrend gedacht werden. Es gibt - wie jedes Jahr - flammende Reden berühmter Autoren, öffentliche Appelle an diverse Regierungen, diesen oder jenen zu Unrecht gefangenen "Writer" freizulassen, dazu angestrengt penible, mühsam erarbeitete Rechenschaftsberichte über die Anzahl der weltweit inhaftierten, zu Hausarrest verdammten, heimlich deportierten oder gar auf Nimmerwiedersehen verschwundenen Kollegen.

Die diesjährige, noch unvollständige Bilanz, die kürzlich auf der Frankfurter Buchmesse von Karin Clark, der Vorsitzenden des "PEN Writers in Prison Committee", dokumentiert wurde, sieht besonders trist aus. 288 "Schreiber" sind demnach 2006 bereits in Haft genommen worden, 227 weitere werden zur Zeit "widerrechtlich" angeklagt und von schwerster Haft bedroht. Bei 24 von ihnen besteht die Gewißheit, daß sie schwer gefoltert wurden, zwölf sind spurlos verschwunden, sieben wurden zur Emigration gezwungen.

Das "Writers-in-Prison-Committee" versucht nun, die verantwortlichen Regierungen unter Druck zu setzen, damit sie Gerechtigkeit oder zumindest Milde walten lassen. Aber seine Möglichkeiten sind doch sehr begrenzt. Seine Abgesandten werden bei den betreffenden Regierungen meistens gar nicht erst vorgelassen, müssen ihre Petitionen beim Pförtner abgeben. Auch die diplomatischen Kanäle sind in den meisten Fällen "verstopft".

So konzentriert man sich notgedrungen auf die "persönliche Betreuung" der Verfolgten, korrespondiert mit ihren Angehörigen, wenn möglich mit ihnen selbst, setzt sich dafür ein, daß sie in andere Sprachen übersetzt, in öffentlichen Lesungen bekannt gemacht und in angesehenen Verlagen herausgebracht werden.

Gerade das letztere ist natürlich keine Kleinigkeit und den Betroffenen sehr willkommen. Öffentlichkeit ist heutzutage eine gewaltige Macht, und sie ist im Falle der gefangenen Schriftsteller ganz eindeutig eine wohltätige Macht. Das immer wieder zu hörende Argument, "allzuviel" Öffentlichkeit schade den Gefangenen nur, weil die angeklagten Regierungen sich dann "verhärten" würden, man solle sich also lieber auf "informelle Einflußnahmen" beschränken - dieses Argument ist falsch und hilft letztlich nur den Diktatoren.

Ernster zu nehmen wäre wohl ein weiterer manchmal zu vernehmender Einwand. Die Aktionen von "Writers in Prison", so liest man hier und da, seien zu einseitig auf die "Writers" abgestellt, andere Berufsgruppen, Künstler, technische Experten oder junge Studenten rückten dadurch nur um so tiefer in den Schatten der Nichtbeachtung, zu schweigen von dem ganz gewöhnlichen und trotzdem nicht weniger eingesperrten und gefolterten "kleinen Mann von der Straße", der noch immer das Gros der politischen Gefangenen liefere.

In der Tat ist die Privilegierung einer bestimmten Häftlingsschicht in diktatorischen Systemen stets eine heikle Angelegenheit. Viele Regimes neigen dazu, die Rücksicht, die sie sich bei der Behandlung gewisser, durch internationale Öffentlichkeit geschützter Gefangener auferlegen müssen, durch die um so rüdere Behandlung der übrigen Opfer frech zu kompensieren. Prügel, Karzer, Essensentzug und andere Formen der "Sonderbehandlung" werden üblicherweise nicht den prominenten "Sonderhäftlingen" zuteil, sondern vielmehr dem ganz gewöhnlichen politischen Durchschnitts-Knastologen. Er badet gewissermaßen die Prominenz der PEN-"Writers" aus, und zwar doppelt und dreifach.

Trotzdem sollte man dergleichen nicht ausgerechnet dem "Writers-in-Prison-Committee" zum Vorwurf machen. Jeder in dieser Welt ist sich selbst der Nächste, und eine Schriftsteller-Vereinigung fühlt sich nun einmal in erster Linie für Schriftsteller zuständig. Niemand kann ihr das im Ernst verübeln. Allenfalls kann man bedauern, daß der PEN-Club seinen Begriff von Schriftsteller im Laufe der Jahre immer weiter ausgeweitet hat, so daß heute auch (und sogar in erster Linie) Gestalten unter diese Kategorie fallen, deren "Schriftstellertum" sich darin erschöpft, daß sie gerade mal einen Laptop bedienen und politische Parolen skandieren können.

Es begann damit, daß seit den siebziger Jahren ausdrücklich auch "Verleger, Redakteure und andere Journalisten" an die Seite der Poeten, Essayisten und Romanciers traten, um die man sich zu kümmern habe. Später kamen noch die Berufspolitiker hinzu, die nie etwas Ordentliches gelernt haben und in ihre Pässe üblicherweise "Autor" eintragen lassen, weil sie gelegentlich Artikel abzeichnen, die ihnen ihre Sekretäre aufgesetzt haben. Weitaus die meisten der Autoren, für die sich das "Writers-in-Prison-Committee" heute einsetzt, sind mittlerweile Berufspolitiker bzw. Berufsrevolutionäre oder aktuell politisierende Redakteure, was dem ganzen Unternehmen fast gänzlich die Exzellenz und Exklusivität genommen hat, die es einstmals hatte.

Am schlimmsten ist dabei, daß sich auch die Maßstäbe änderten, nach denen man diejenigen aussucht, für die man sich einsetzen will. An sie Stelle der Poesie und der philosophischen Essayistik trat die Politik. Schon Mitte der achtziger Jahre wurde auf kommunistisches Ersuchen (die Initiative ging vom damaligen Jugoslawien aus) dem Komitee eine "Writers-for-Peace"-Abteilung beigegeben, die den "internationalen Kampf für den Frieden" (was immer das sein mochte) zum verbindlichen Anliegen erklärte. Die Folgen waren weitreichend.

Die Statuten des "Writers-in-Prison-Committee" sehen inzwischen vor, daß nur noch solche gefangenen und gefolterten "Writers" unterstützt werden sollen, die "nicht zu Gewalt und Rassenhaß" aufrufen - ein Gummiparagraph im Stile der berüchtigten Political Correctness, der der Willkür bei der Auswahl der Klienten Tür und Tor geöffnet hat. Autoren wie beispielsweise der in Österreich wegen reiner Überzeugungsdelikte einsitzende britische Historiker und Schriftsteller David Irving (JF 9/06)) werden nun nicht mehr des Zuspruchs des Komitees teilhaftig; dieser richtet sich statt dessen zur Zeit um so dröhnender auf jene - weder poetischen noch irgendwie essayistischen - politischen Aktivisten, die in der Türkei mit Prozessen überzogen werden, weil sie den Völkermord an den Armeniern in die dortige offizielle Erinnerungskultur einführen wollen.

Was wird demnächst mit den vielen französischen Autoren, darunter hochprominente Historiker, die sich mit Empörung der Absicht der Chirac-Regierung widersetzen, die "Leugnung des Völkermords an den Armeniern" in Frankreich unter Strafe zu stellen? Werden sie im Knast verschwinden, ohne daß der PEN-Club und sein "Writers-in-Prison-Committee" auch nur Piep dazu sagt? Man darf gespannt sein.

Schon jetzt beklagen muß man, daß ein am Anfang doch hoch edles Projekt, nämlich daß sich Schriftsteller um das Schicksal ihrer verfolgten Kollegen kümmern, elend im Sande der modernen PC-Diktatur verläuft (und daß noch kein einziges PEN-Mitglied öffentlich dagegen protestiert hat).

Foto: "Der Tod des Sokrates im Kerker" von Nicolas Poussin (Umkreis, um 1640/1650): Antikes Urbild des Autors in Haft


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