© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/06 10. November 2006

"Wir leben hier seit Generationen"
Interview I: Der Sejm-Abgeordnete Richard Galla über den Stand der deutsch-polnischen Beziehungen und die Lasten der Vergangenheit
Christian Rudolf / Jörg Fischer

Herr Galla, Sie vertreten die deutsche Minderheit im Sejm in Warschau. Beim Besuch von Premier Jarosław Kaczyński in Berlin wurde deutlich, daß sich die deutsch-polnischen Beziehungen verschlechtert haben. Spüren Sie den rauheren Wind auch in Ihrer kommunalpolitischen Arbeit?

Galla: Kaczyński hat erklärt, daß sich die Beziehungen nicht verschlechtert haben. Meine Wahrnehmung ist doch etwas anders. Aber auf kommunaler und wirtschaftlicher Ebene sowie zwischen den schlesischen Wojewodschaften und den deutschen Bundesländern gestaltet sich die Zusammenarbeit weiter gut.

Am 12. November sind Kommunalwahlen. Die Regierung hat angekündigt, die Rechte der deutschen Minderheit einzuschränken, wenn den Polen in Deutschland nicht Ähnliches zugestanden wird.

Galla: Wir Deutschen in Schlesien leben hier seit Generationen. Von der Fünf-Prozent-Hürde sind alle Minderheiten in Polen befreit! Der Unterschied besteht nur darin, daß die Deutschen in Schlesien eine politische Repräsentanz haben. Früher hatten wir sogar mal sieben Sejm-Abgeordnete, heute sind wir nur noch zwei. Wenn die Wähler die Deutschen für gute Verwalter halten, dann werden sie ihnen ihre Stimme geben.

Polnische Regierungsvertreter haben das im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 garantierte Recht auf Zweisprachigkeit und doppelte Staatsbürgerschaft in Frage gestellt. Wie reagierten die bundesdeutschen Regierungsstellen?

Galla: Die Stellungnahme von Kanzlerin Angela Merkel und des deutschen Botschafters in Polen, Reinhard Schweppe, waren deutlich als Solidaritätserklärung zu verstehen. Das Gesetz über die nationalen und ethnischen Minderheiten war eine schwere Geburt. Von diesen Rechten machen wir Gebrauch. Und jetzt, wo wir in der EU sind, wird man unsere Rechte wohl nicht wieder einschränken können.

Der Vizefraktionschef der wirtschaftsliberalen PO im Sejm, Grzegorz Dolniak, hat in der JF (44/06) erklärt, daß seine Partei in der Minderheitenpolitik eine moderatere Haltung einnehme.

Galla: Ich spüre eine Art Solidarität, sowohl von seiten der PO wie auch aus Richtung der (postkommunistischen) SLD. Als die Liga der Polnischen Familien (LPR) einen Antrag stellen wollte, um auch für uns die Fünf-Prozent-Hürde einzuführen, da kamen aus Richtung dieser Opposition deutliche Signale.

Ein Streitpunkt zwischen Deutschland und Polen ist das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen (ZgV).

Galla: Diese Initiative behandelt ein sehr schwieriges Thema, denn obwohl seit dem Krieg sechs Jahrzehnte vergangen sind, sind unsere beiden Völker darüber noch immer nicht übereingekommen. Ich finde, daß dieses Problem zur Warnung für die Zukunft dargestellt werden sollte. Es kann nicht sein, daß die polnische Seite nicht diskutieren will. Sie sollte sich an den gemeinsamen Tisch setzen, denn schließlich sind von den Aussiedlungen viele Völker betroffen. Das ist keine Angelegenheit, die nur das deutsche oder das polnische Volk betrifft.

Für großen Wirbel sorgt in Polen auch die Preußische Treuhand, die Eigentumsansprüche von Vertriebenen vertritt.

Galla: Das sind Dinge, die besonders in Schlesien viele Emotionen aufwühlen. Ich bediene mich hier immer des Beispiels meiner Bekannten, die aus dem einst polnischen Osten kamen und in einem der deutschen Häuser ihren Wohnsitz genommen haben. Nach so vielen Jahren zeigt sich, daß die früheren Besitzer für diese Familie Freunde geworden sind und sie sich gegenseitig besuchen, und niemand nimmt Anstoß daran, daß die polnische Familie in dem alten Haus wohnt. Für mich geht es darum, daß all diese Dinge geregelt werden, und dann wäre das kein Thema mehr. Aber es wird immer so sein, daß jemand, wenn er die Möglichkeit hat, Besitz zurückzuerhalten, sich darum bemühen wird.

Bildungsminister Roman Giertych (LPR) will polnisch-patriotischen Unterricht an den Schulen einführen. Was halten Sie davon?

Galla: Ich gehöre einer Generation an, die in der Nachkriegszeit erzogen wurde und weiß, welche Folgen das hatte. Damals wurden Lehrer aus Ostpolen hergeschafft - um uns Polnisch beizubringen. Heute haben wir im Erziehungswesen zu einer gewissen Normalität gefunden. Es ist sogar möglich, Deutsch als Muttersprache zu lernen. Wir sollten das nicht wieder zerstören.

Polen und Deutsche trennt vieles, die gemeinsame katholische Kirche könnte vermitteln. Andererseits soll der polnische Klerus recht nationalistisch sein - können die Deutschen in Schlesien auf die Unterstützung ihres Bischofs Alfons Nossol zählen?

Galla: Bischof Nossol ist einer, der uns unterstützt. Aber man sollte nicht ungestüm vorgehen. Wenn man mit einem Mal jede Woche eine Messe in deutscher Sprache einführt, dann kann das mehr Schaden anrichten, als wenn wir Stück für Stück deutsche Messen einführen. Das Klima im Oppelner Schlesien ist gut, obwohl die Kirche hier stark propolnisch eingestellt ist.

 

Richard Galla, Jahrgang 1956, Ingenieur, ist einer der beiden Sejm-Abgeordneten für die deutsche Minderheit und derzeit auch Vizemarschall der Wojewodschaft Oppeln.

Foto: Eichendorff-Denkmal in Ratibor/Schlesien: "Deutliche Signale"

 

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