© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/06 10. November 2006

Menschen statt Konsumenten
Würzburg: Synode der Evangelischen Kirche / Huber fordert Einschränkung der Spätabtreibungen und Erhalt des verkaufsfreien Sonntags
Christian Vollradt/Alexander Bagus

Unter dem alttestamentarischen Motto "Gerechtigkeit erhöht ein Volk" (Sprüche 14,34) trat von Sonntag bis Donnerstag in Würzburg die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammen. Schwerpunkt der Beratungen war das Thema "Armut und Reichtum", außerdem stehen Diskussionen über das sogenannte "Impulspapier" des Rates der EKD auf der Tagesordnung.

In diesem Anfang Juli vorgestellten Thesenpapier "Kirche der Freiheit" (JF 33/06) waren zum Teil weitreichende Vorschläge unterbreitet worden, wie der Trend sinkender Mitgliedszahlen aufgehalten und die Leistungsfähigkeit der Kirche erhalten bleiben könnte. Vor allem die Forderung nach einer Reduzierung der Anzahl der Landeskirchen von derzeit 23 auf acht bis zwölf sorgte für Furore. Auf eine breite Zustimmung stießen die Verfasser des Papiers mit ihrer Forderung, die Kirche müsse sich verstärkt auf ihre geistlichen "Kernkompetenzen" besinnen, wobei diese nach Meinung von Kritikern auch im Impulspapier zu unbestimmt blieben.

Der Ratsvorsitzende der EKD, der Berlin-Brandenburgische Landesbischof Wolfgang Huber, nannte zum Auftakt der Synode die Armut einen "Skandal, weil sie Teil eines Entwurzelungsprozesses aus der Gesellschaft ist". Nicht nur die zunehmende Zahl armer Menschen, die aus der Gesellschaft fielen, sei erschreckend, sondern vor allem die Tatsache, daß Armut erblich sei.

Als "geradezu zynisch" bezeichnete es der Berliner Bischof, die Gesellschaft angesichts einer wachsenden Zahl armer Menschen im Land zu noch mehr Konsum aufzufordern. Aus diesem Grund sprach sich Huber in seiner Rede deutlich gegen verkaufsoffene Sonntage aus. "Ein solches Vorhaben nimmt den Menschen nur noch als Konsumenten wahr", kritisierte er. Deswegen trete die evangelische Kirche dafür ein, den Schutz des Sonntags und insbesondere der Adventssonntage zu erhalten.

Des weiteren forderte Bischof Huber den Gesetzgeber auf, den Spätabtreibungen in Deutschland ein Ende zu bereiten. "Eine mögliche Behinderung oder Erkrankung des ungeborenen Kindes stellt in sich selbst keinen Grund für eine medizinische Indikation dar", sagte Huber. Notwendig sei in diesem Zusammenhang eine bessere Aufklärung und Beratung der Schwangeren; vor allem müsse verhindert werden, daß lebensfähige Kinder abgetrieben beziehungsweise vor dem Schwangerschaftsabbruch getötet würden. Er forderte eine Neuregelung der Problematik durch den Bundestag auf möglichst breiter Basis. Huber berichtete den Synodalen auch von seinem Besuch des Libanons, bei dem er über das Ausmaß der Zerstörungen erschüttert worden sei. Die Reaktion Israels auf die Angriffe der radikal-islamischen Hisbollah habe nach seiner Überzeugung das Maß der Verhältnismäßigkeit weit überschritten, sagte Huber. Er warnte aber davor, daß aufgrund dieser Kriegsführung andererseits im Nahen Osten das Existenzrecht Israels immer häufiger in Frage gestellt werde und Antisemitismus "bis in höchste politische und religiöse Kreise hinein" hoffähig geworden sei.

Stellung nahm Huber auch zum Thema "Ökumene der Profile". Dabei gehe es nicht darum, ökumenischen Gesprächspartnern die konfessionellen Unterschiede vorzuwerfen, sondern darum, "das eigene Profil zu leben und zu deuten". Als "befremdlich" wertete der Ratsvorsitzende allerdings die Tatsache, daß der Vatikan die evangelischen Kirchen nach wie vor lediglich als "kirchliche Gemeinschaften" bezeichnet.

Weißelberg kein Thema auf der Synode

Mit Beifall wurde Hubers Solidarisierung mit Ekin Deligöz bedacht. Die türkischstämmige Bundestagsabgeordnete der Grünen war von Islamisten bedroht worden, nachdem sie sich gegen das Kopftuch ausgesprochen hatte. In diesem Zusammenhang erwähnte Huber den Pfarrer Roland Weißelberg, der sich aus Angst vor dem Islam am Reformationstag in Erfurt selbst verbrannt hatte (siehe Seite 10). Der Ratsvorsitzende kündigte an, daß sich die EKD mit der Thematik beschäftigen und den Dialog mit dem Islam fortsetzen wolle. In ihren Wortbeiträgen forderten zwei Synodale, unter ihnen die Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese (SPD), einen verstärkten "Kampf gegen Rechts" vor allem in den neuen Bundesländern, wo schon einige Gemeinden fast vollkommen von der NPD kontrolliert werden würden. Nur am Rande wurde die "Bibel in gerechter Sprache" (JF 45/06) behandelt. "Das ist kein Thema auf dieser Synode", sagte der Vizepräses der Synode, Klaus Eberl.

 

Stichwort: EKD-Synode

120 Delegierte aus den 23 evangelischen (lutherischen, reformierten und unierten) Landeskirchen treten einmal jährlich zur Tagung der EKD-Synode zusammen. 100 der Synodalen werden von den Landeskirchen für die Dauer von sechs Jahren gewählt, 20 vom Rat der EKD berufen. Nur etwa ein Drittel der Mitglieder sind Theologen, die überwiegende Mehrheit der Synode, der ein siebenköpfiges Präsidium vorsteht, setzt sich aus Laien zusammen. Die Synode berät und beschließt vor allem rechtliche sowie finanzielle Angelegenheiten der EKD und stimmt über Vorlagen des Rates der EKD ab. Die EKD vertritt organisatorisch (aber nicht konfessionell) 26 Millionen protestantische Christen.


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