© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Zwischen Patriotismus und Religion
Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation II: Der zweite Teil der Ausstellung in Berlin spiegelt Reformation, Aufklärung und Reichsende
Ekkehard Schultz

Die Reichsreform Kaiser Maximilians I. von 1495 markiert den Ausgangspunkt des zweiten Teils der Ausstellung "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation", die auf zwei Etagen im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums präsentiert wird. Diese Reform wird neben dem Beginn der Reformation und der Kirchenspaltung in der Historie als eine der wichtigsten Trennmarken deutscher Geschichte zwischen Mittelalter und früher Neuzeit betrachtet. Die Begründung für diese Wahl geht vor allem auf die Verkündung des "Ewigen Landfriedens" zurück, der unter anderem das im Mittelalter verbreitete Fehdewesen nunmehr unter Strafe stellte.

Das primäre Ziel dieser Reform bestand freilich in einem Versuch, einen längerfristigen Ausgleich zwischen den königlichen Herrschaftsinteressen und Forderungen der Reichsstände auf Mitregierung zu erreichen. Ein wesentliches Element dazu war die Schaffung einer neuen Reichskammergerichtsordnung. In dieser wurde festgelegt, daß das Gericht zukünftig unabhängig von der Anwesenheit des Königs und seines Hofes tagen konnte. Der dauernde Gerichtsort konnte abseits vom königlichen Hof liegen. Die Kammerrichter und Präsidenten dieses Gerichtes sollten zwar weiterhin von König bzw. Kaiser ernannt werden, der Rest wurde jedoch von den Reichsständen dominiert.

Mit dem Beginn des Zeitalters der großen Entdeckungen, das im späten 15. Jahrhundert begann, wuchs gleichzeitig das Interesse an der Suche nach den eigenen Wurzeln. Einen wesentlichen Anschub dazu lieferte die Wiederentdeckung von Tacitus "Germania". Sie sorgte dafür, daß die gesellschaftlichen Bindungskräfte auf der Basis alter, gemeinsamer Geschichtstraditionen jenseits von Kirche und Herrschern erstmals wieder stärker in das Bewußtsein rückten. Fragen nach Ursprung und Traditionen der deutschen Stämme sowie nach den "teutschen Stammvätern" wurden gestellt.

Allerdings sollte der dadurch beflügelte Reichspatriotismus schnell durch die konfessionelle Spaltung des Reiches auf eine schwere Bewährungsprobe gestellt werden: Mit dem Thesenanschlag von 1517 wollte der Augustinermönch Martin Luther zwar lediglich eine Reform der gesamten Romkirche erreichen. Doch dazu war die Zeit nicht reif: Schon bald bildeten sich deutliche Fronten zwischen Reformbefürwortern und ihren Gegnern. Die neue lutherische Lehre konnte sich zwar in weiten Teilen des Reiches ausbreiten, doch ein endgültiger Sieg war der Bewegung nicht vergönnt. Zu sehr war das komplexe Reichsgebilde auf die geistlichen Fürsten gestützt, die sich aus Machterwägungen nicht auf "Experimente" einlassen wollten.

Das Reich wurde zum Spielball auswärtiger Mächte

1519 gelangte mit Kaiser Karl V. ein Vertreter einer Universalmonarchie auf den Kaiserthron, der schließlich an der Religionsspaltung selbst scheitern sollte. Seine Versuche, den lutherischen Glauben zunächst im lokalen Bereich komplett einzudämmen, waren nicht erfolgreich. Schließlich mußte Karl V. mit dem Religionsfrieden zu Augsburg von 1555 - wenngleich auch nicht persönlich - erstmals den protestantischen Fürsten des Reiches ein Vermittlungsangebot für eine Friedensordnung präsentieren. Das Grundkonzept der wechselseitigen Anerkennung hatte in seinen Grundzügen bis zum Ende des Reiches Bestand.

Trotz der Augsburger Regelungen zur Herstellung des Friedens zwischen den Konfessionen wurden zu Beginn des 17. Jahrhunderts erneut Militärbündnisse der katholischen und der protestantischen Parteien geschlossen. Es bedurfte letztlich nur noch eines zündenden Funkens, dem Widerstand der böhmischen Stände gegen Kaiser Ferdinand II. - einen ausgesprochenen Protestantenfeind - um diese gefährliche Lunte zu entzünden, die das Reich in den Dreißigjährigen Krieg stürzte und es zum Spielball zahlreicher auswärtiger Mächte werden ließ.

Zwar hielt die äußere Bedrohung der Christenheit durch die Osmanen das Reich zusammen. Dennoch war es ein deutlicher Wink, daß Kaiser Leopold I. bei der entscheidenden Schlacht bei Wien von 1683 als Führer der vereinigten Heere den König von Polen, Jan Sobieski, und keinen Reichsfürsten wählte. Zur gleichen Zeit nutzte der französische König Ludwig XIV. die Situation und gliederte weite westrheinische Gebiete in sein Staatswesen ein.

Im 18. Jahrhundert gingen die habsburgischen Kaiser endgültig dazu über, ihre Hausmachtpolitik über die Reichs-interessen zu stellen. Umgekehrt betrieben viele Reichsfürsten eine Politik, die sich immer weniger an den Interessen des Reiches orientierte; wesentliche fürstliche Interessen bestanden oft jenseits der Reichsgrenzen. August Friedrich August von Sachsen wurde 1697 zum König von Polen gewählt. Kurfürst Georg Ludwig von Hannover wurde 1714 als Georg I. König von England, es folgte über ein Jahrhundert hannoversch-englischer Personalunion. Auch die Entwicklung Brandenburg-Preußens zu einer Großmacht veränderte die Machtverhältnisse im Reich. Im Dualismus Österreich-Preußen blieb nur wenig Spielraum für die gemeinsamen Interessen des Reiches übrig.

Dieser Entwicklung hatten die Gelehrten im Reich kaum etwas entgegenzusetzen. Die meisten von ihnen konnten nur wenig mit dem Reich anfangen, und orientierten sich an den lokalen Interessen der Fürsten, die ihnen Arbeit und Brot sicherten. Andere war bereits stark von einem weltbürgerlichen Ideal ergriffen und hielten die Strukturen des Reiches für veraltet. Hier griffen bereits die Ideen der Aufklärung, die sich aus Frankreich den Weg ins Reich gebahnt hatten. Der Versuch, die Verbreitung dieser Ideen durch Verbote zu unterbinden, war wenig tauglich und wirkte zumeist vollkommen kontraproduktiv.

Das endgültige Ende des Reiches leitete der dritte Koalitionskrieg Frankreichs mit verschiedenen süddeutschen Koalitionspartnern gegen ein Bündnis von England, Rußland und Österreich ein. Im Juli 1806 wurde schließlich der napoleontreue Rheinbund mit 16 Reichsständen geschlossen. Diese Stände verpflichteten sich, aus dem Reichsverband auszutreten und die mit dem Reich verbundenen Titel nicht mehr zu führen. Als Reaktion legte Kaiser Franz II. am 6. August 1806 die Kaiserkrone des Reiches nieder, letztlich auch um einer Krönung Napoleons den Boden zu entziehen, der am 1. August erklärt hatte, das Heilige Römische Reich nicht mehr anzuerkennen. Bereits 1804 hatte er als Franz I. den Titel eines Kaisers von Österreich angenommen.

Über das Ende der Geschichte des Reiches hinaus widmet sich der zweite Ausstellungsteil den Reichsmythen und den Staatsmodellen, die nach 1806 Aktualität erlangten. Es ist dabei ein buntes und überaus sehenswertes Panorama auf rund 1.500 Quadratmetern entstanden, welches gespickt mit über 600 Kunst- und Kulturschätzen der frühen Neuzeit auf jeden Fall einen Besuch lohnt.

Die Ausstellung "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation - Altes Reich und Neue Staaten 1495-1806" ist bis zum 10. Dezember im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums zu sehen. Weitere Informationen im Internet unter www.dhm.de , Tel.: 030 / 20 30 44 44

Zur Ausstellung sind ein reich bebilderter Katalog- sowie ein Essayband erschienen. Beide sind in der Ausstellung zusammen zum Preis von 60 Euro, im Buchhandel zum Preis von 98 Euro erhältlich.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen