© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Eine Welt im Untergang
Barocke Dekadenz: Sofia Coppolas Sinnenrausch "Marie Antoinette"
Michael Insel

Sofia Coppolas Überraschungserfolg "Lost in Translation" (2003) ließ Bill Murray als kulturell überforderten Amerikaner in der Hektik Tokios stranden. Auf den ersten Blick könnte ihr neuer Film kaum weiter von der neongrellen Metropole entfernt sein, doch auch im Versailles des 18. Jahrhunderts geht es um eine Fremde in der Fremde, der zudem von der Geschichte wie der Geschichtsschreibung übel mitgespielt wurde. Marie Antoinette, Erzherzogin von Österreich, wurde 1770 als Vierzehnjährige mit dem französischen Thronfolger verheiratet.

Coppola verfilmt Antonia Frasers revisionistische Biographie als verspielte Träumerei, mischt historisch authentische Bühnenbilder - teils wurde an Originalschauplätzen im Schloß von Versailles gedreht - und prachtvolle Kostüme mit einem trotzig-zeitgenössischen Soundtrack auf. Wo es derart barock-dekadent zuging, klingt der anachronistische Post-Punk von Siouxsie and the Banshees oder Bow Wow Wow gar nicht allzu schräg im Ohr.

Tatsächlich handelt der Film einzig vom ausschweifenden Lebensstil am Hof, von Intrigen und Völlerei, die diese Welt letztlich dem Untergang weihten. Die politischen Umstände aber, geschweige denn das hungerleidende Volk sind Francis Ford Coppolas Tochter, die sich auch als Modedesignerin einen guten Namen gemacht hat, so egal wie der jungen Königin (Kirsten Dunst). Insofern mag ihr stilsicherer Griff in die Klamottenkiste eine durchaus akkurate Rekonstruktion der damaligen Stimmungslage sein, zu befriedigen vermag er indes nicht. Der pisageschädigten Generation, der diese "Geschichte der Gefühle, nicht der Fakten" (Coppola) mundet, wäre Mathematik sicher auch ohne Zahlen lieber.

Eine historisch umstrittene Liebschaft mit einem schwedischen Grafen und das Drama um die Zeugung eines Erben - sieben Jahre vergebliche Liebesmüh von der Thronbesteigung 1774 bis zur Geburt des ersten Sohnes, der schon 1789 starb, sein jüngerer Bruder fiel 1795 der Revolution zum Opfer - bieten nicht wirklich abendfüllende Unterhaltung, zumal es doch weit spannendere Geschichten zu erzählen gäbe. Doch die Köpfe rollen im Off bzw. wenn der Film schon zu Ende ist. Selbst auf Marie Antoinettes einzigen Beitrag zum überlieferten Zitatenschatz wartet man vergebens: "Dann sollen sie Kuchen essen!" stammt in Wirklichkeit von Jean-Jacques Rousseau, der ihn in seinen "Bekenntnissen" einer "großen Fürstin" in den Mund legte, als die zukünftige französische Königin noch in Wien lebte und Maria Antonia hieß.

Daß dieser zweistündige Augenschmaus aus der Hofkonditorei keine Zuckervergiftung, sondern eher einen Sinnenrausch auslöst, liegt weitgehend an Kirsten Dunst. Sie spielt die junge Königin als Pop-Ikone, aber als tragische. Spätestens mit ihrer Ankunft in Frankreich verliert Marie Antoinette jegliche Entscheidungsgewalt über das eigene Schicksal: Eine historisch belegte Szene zeigt, wie sie in ihrer prunkvoll verzierten Kutsche und in Begleitung des österreichischen Botschafters (Steve Coogan, im bürgerlichen Leben Komiker) an der Grenze genötigt wird, sich auszuziehen und sämtliche Besitztümer einschließlich ihres Mopses zurückzulassen. Nachdem sie Ludwig XIV. (Jason Schwartzman), der hier eine recht traurige Gestalt abgibt, endlich einen Sohn geschenkt hat, darf sie ihre Fantasien in Le Petit Trianon ausleben, einer bäuerlichen Idylle, die auf ihre Art nicht minder künstlich ist als die strenge Etikette am Hof.

Damit nicht der ganze Film auf ihren jungen Schultern lastet, liefern vor allem einige bedauerlich unterforderte Nebenrollendarsteller hervorragende Darbietungen: Danny Huston etwa als Marie Antoinettes älterer Bruder oder Shirley Henderson als Ludwigs Tante. Rip Torn spielt Schwiegervater Ludwig XV., als wäre er ein texanischer Ölbaron, während Asia Argento in der Rolle der meistverhaßten Person in ganz Versailles, des alten Königs Mätresse Madame Dubarry besticht.


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