© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

CD: Klassik
Kruzitürken
Jens Knorr

In harschem Ton beginnt die Ouvertüre im italienischen Stil. Kein Zweifel, der junge Komponist setzt auf Konfrontation, als ahnte er bereits, daß ihm Musik noch eine Sache auf Leben und Tod werden würde. Dabei hat Mozarts Singspiel "Zaide", das ungeratene Geschwister der "Entführung aus dem Serail", gar keine Ouvertüre. Entgegen dem Vorschlag des Musikwissenschaftlers Alfred Einstein (1880-1952), der sie fälschlich in Mozarts Sinfonia G-Dur KV 318 vermutet hatte, setzt Nikolaus Harnoncourt die Sinfonia Es-Dur KV 184 an den Anfang der Version des Fragments, die er zuerst im März dieses Jahres mit seinem Concentus Musicus Wien im Großen Saal des Wiener Musikvereins vorgestellt hat (DHM/Sony BMG 82876 84996-2).

Der von Abert vermerkte persönliche, leidenschaftliche Ton der Sinfonia Es-Dur, ihr finsterer Zug, die unheimliche Spannung ihres c-Moll-Andantes, das "in seinem den Schmerz bis zur Verzweiflung steigernden Stimmungsgehalt die Grenzen der Gesellschaftsmusik weit hinter sich läßt", der gefährdete Frohsinn ihres Finales - all das paßt sehr wohl als Eröffnung auf das Spiel von unerwiderter Liebe des türkischen Sultans Soliman zu der europäischen Sklavin Zaide, von deren Liebe zu einem anderen Sklaven, dem Christen Gomatz, von beider scheiterndem Fluchtversuch mit Hilfe des Sklavenaufsehers Allazim, eines Renegaten, von Verrat also und Rache und Liebesraserei - und von keinem glücklichem Ausgang, Denn auf dem Höhepunkt des Konflikts, der der tiefste ist, nach dem Quartetto des 2. Akts, bricht die Komposition ab, von der keine Dialoge, kein Finale überliefert sind, lediglich 15 Gesangsnummern, die Constanze Mozart 1799 im Nachlaß ihres Mannes fand.

Doch in diesen zeigt sich der ausgesprochene Experimentier-charakter des wahrscheinlich im Frühjahr und Herbst 1780 auf Schachtners Libretto geschriebenen Fragments: dramaturgisch in der Verschärfung des Liebes- und Kulturkonflikts gegenüber der Vorlage, was einen tragischen Schluß nahelegt, der in der Gattung des Singspiels und für das anvisierte Publikum in Wien, "wo man lieber Commische stücke sieht" - so Mozart im April 1881 an den Vater -, nicht zu leisten gewesen wäre. Und musikalisch-dramaturgisch in dem Versuch, verschiedene Gattungen des musikalischen Theaters miteinander zu konfrontieren, und insbesondere in der Erprobung der damals aktuellen Form des "Melologo", wie Mozart das Melodram nennt, den vom Orchester begleiteten gesprochenen Text.

Die zugunsten der Arbeit an der "Entführung" aufgegebene Tür-kenoper ist ein "Rohdiamant", sagt der Schauspieler Tobias Moretti, ein idealer Erzähler des Werks, seiner Entstehungsgeschichte, seiner Aktualität und seiner eigenen Zwischentexte. Eine ideale Interpretin der Zaide, und auf dem Weg zu einer Weltkarriere, ist die Sopranistin Diana Damrau, auch wenn sie in der dramatischen Arie Nr. 13, die in Mozarts Todes-Tonart g-Moll steht, noch leicht überfordert wirkt. In den Gesang der anderen jedoch, Michael Schade (Gomatz), Rudolf Schachung (Soliman), Florian Boesch (Allazim) und Anton Scharinger (Osmin), wie in das Spiel des Contentus Musicus hat sich, so scheint's dem Hörer, ein ungehörig Quantum historisch-aufführungspraktischer Routine eingeschlichen.

Am Ende des Fragments läßt Harnoncourt die 16 Einleitungstakte zur Arie des Soliman, eine schmerz- wie hoffnungsselige D-Dur-Melodie in den ersten und zweiten Violinen, wiederholen. Denn für die großen Themen des Verzeihens und des Verzichts aus Liebe, durchgeführt in der "Entführung", dem anderen, dem vollendeten deutschen Singspiel, hat der Mozart oder haben wir von dem Mozart der "Zaide" kein Wort und keinen anderen Ton.


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