© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

"Freiwillige Umsiedlung"
Irak: Angesichts der gescheiterten US-Strategie werden Pläne für eine Dreiteilung des Landes offener diskutiert
Günther Deschner

Immer mehr alliierte Militärs, Analysten und Politiker sprechen offen aus, daß der Irakkrieg, den die US-Regierung im März 2003 begonnen hatte, eine politische Fehlentscheidung war, daß er nicht gewonnen worden ist und daß es jetzt nur noch darum gehen kann, ihn ohne allzu großen Gesichtsverlust und ohne noch schlimmere politische Folgeschäden zu beenden. Eine von US-Präsident George W. Bush beauftragte parteiübergreifende "Studiengruppe Irak" unter Leitung des Ex-Außenministers James A. Baker soll nun mögliche Exit-Strategien erarbeiten. Die Ergebnisse sollen erst nach den Kongreßwahlen in der zweiten Novemberhälfte vorgelegt werden, doch schon jetzt ist als bevorzugter "Masterplan" eine Dreiteilung des Irak publik geworden. Der israelische Außenpolitikexperte Schlomo Avineri hat ähnliches schon 2003 vorgeschlagen (JF 46/03).

Irakische Rumpfregierung für Außenpolitik und Währung

Nach dem neuen US-Denkmodell soll der Irak in drei selbständige Regionen aufgeteilt werden. Eine nördliche, die noch etwas größer wäre als die bereits existierende "Autonome Region Kurdistan", eine südliche, in der die größte Bevölkerungsgruppe des Irak, die arabischen Schiiten, sich selbst regieren würden und eine dritte Region im Zentrum, zwischen Bagdad und der syrischen und jordanischen Grenze für die arabischen Sunniten. Die Regionen könnten sich - wie beim Zerfall des ehemaligen Jugoslawien - zu unabhängigen Staaten entwickeln. Denkbar wäre auch, in Bagdad eine Rumpfregierung zu belassen, zuständig für Außenpolitik, Grenzschutz und Währung.

Der Plan hat viel für sich, denn er würde nur politisch regulieren, was sich tatsächlich bereits vollzogen hat: Schon jetzt existieren faktisch drei Regionen: die schiitische, proiranische im Süden, die kurdische, proamerikanische im Norden und die schwer einzuschätzende, im Zweifel amerikafeindliche, sunnitische in der Mitte. Das irakische Parlament beschloß Mitte Oktober mit den Stimmen der schiitischen und der kurdischen Abgeordneten ein Gesetz, das den Provinzen und Regionen politische Selbständigkeit einräumt, inklusive des Rechts zur Aufstellung eigener Wehrverbände. Das Land ist also auch offiziell auf dem Weg in die ethnisch-religiöse Trennung.

Es wird damit - nach dem Zerbrechen Jugoslawiens 1991 und der Tschechoslowakei 1992 - ein weiteres Produkt der von den Siegern des Ersten Weltkriegs erzwungenen "Ordnung von Versailles" zur Disposition gestellt. Noch nie seit die Völker und Kulturen des Zweistromlands vor 80 Jahren von britischen Kolonialpolitikern unter ein konstruiertes Dach namens Irak gezwungen worden sind, haben die davon betroffenen Kurden und Araber, die Schiiten und Sunniten in diesem Staat zu innerem Frieden gefunden. Die Osmanen waren noch so klug gewesen, die Provinzen Basra (Schiiten), Bagdad (arabische Sunniten) und Mosul (Mûsil/Kurden) getrennt zu verwalten. Mit dem möglichen Ende des US-geführten Militärabenteuers fällt nun auseinander, was nie wirklich zusammengehörte.

Glatt und geräuschlos wird die politische Neugestaltung dieses Teils der nahmittelöstlichen Geographie nicht über die Bühne gehen. Die Demontage des irakischen Staatskonstrukts wird die ganze Region erschüttern, auch andere Produkte der "Versailler Ordnung" wie Syrien und die Türkei in Mitleidenschaft ziehen, neue Machtkämpfe auslösen - oder ein Umdenken erzwingen. Die schiitische Unabhängigkeit wird den Einfluß des (schiitisch-islamischen) Iran stärken, die Deklassierung der Sunniten wird einen Verfügungsraum für gefährliche Einflüsse bieten, die Unabhängigkeit der irakischen Kurden die Türkei und Syrien beunruhigen - wo starke kurdische Minderheiten leben.

Auch im Innern wird die vorgeschlagene Teilung nicht reibungslos verlaufen. Die Bevölkerung ist vielfach ethnisch und religiös durchmischt. Schon für die britischen Kolonialgouverneure waren Verbannungen und Umsiedlungen ganzer Stämme ein normales Instrument ihrer Herrschaftspolitik. Die arabischen Gewaltherrscher, die den Briten folgten, trieben die intendierte Arabisierung des Landes und die Festigung der sunnitischen Herrschaft mit grausamen Zwangsumsiedlungen voran. Höhepunkt war unter Saddam Hussein die Deportation von 200.000 Kurden aus der ölreichen Region um Kirkuk. In Artikel 140 der neuen Verfassung des Irak haben die Kurden das Recht zur Rückkehr der Vertriebenen und der Repatriierung der von Saddam angesiedelten Araber durchgesetzt: "In geregelten Bahnen und gegen angemessene Ausgleichszahlungen." Bis Ende 2007 soll der Bevölkerungstausch, der bereits in vollem Gang ist, abgeschlossen sein. Natürlich läuft dieser Prozeß nicht ohne Reibungen ab. Von allen Seiten wird getrickst oder verschleppt.

Generell wird es bei der Aufteilung des Landes in drei Regionen viele Jahre dauern, bis wieder Ruhe einkehren wird. Michael O'Hanlon, ein Vordenker der renommierten Washingtoner Brookings Institution, fordert deshalb den Mut zu Programmen für eine "freiwillige Umsiedlung". Die USA müßten diese umfassenden Maßnahmen finanziell und logistisch unterstützen.

Eine ethnische und kulturelle "Bereinigung" in den gemischten Gebieten ist allerdings schon längst im Gang. 70.000 Kurden sind bereits in die Region Kirkuk zurückgekehrt. 20.000 meist arabische Christen haben in den Kurdengebieten des Nordens Zuflucht gefunden. Und allein in den letzten drei Monaten sind 200.000 Sunniten und Schiiten aus Angst vor religiöser Gewalt in entsprechende Regionen umgezogen. Das nun verabschiedete Regionalisierungsgesetz hat mit Rücksicht auf diesen Prozeß auch festgelegt, daß noch mindest 18 Monate abgewartet werden soll, bis die autonomen Regionen ihre Grenzen endgültig festlegen.

Foto: Kurdische Polizistinnen: Ethnische und kulturelle "Bereinigung"


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