© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Der nette Spion von nebenan
Bayern: Am ehemaligen Eisernen Vorhang zeugen zwei Überwachungstürme vom Kalten Krieg und einer spektakulären Agentenkarriere
Lubomir T. Winnik

Das Begräbnis war imposant - ein Mann wurde zu Grabe getragen, den im Bayerwaldstädtchen Kötzting jedermann kannte: Werner Tutter. Vielseitig engagiert, stets hilfsbereit, beflissen, schrieb die lokale Kötztinger Zeitung in einem Nachruf. Wann immer in Kötzting Kultur gemacht wurde, irgendwie hatte Werner Tutter, der acht Sprachen beherrschte und fünf Jahre im Stadtrat saß, seine Hand im Spiel.

Auch seine berufliche Beschäftigung trug zu seinem Ansehen bei: Von 1962 bis 1974 war er als Zivilangestellter der Bundeswehr auf dem Hohenbogen, einem 1.079 Meter hohen Berg mit zwei 75 Meter hohen Radartürmen, tätig. Denn wer in der supergeheimen Militäranlage arbeiten durfte, die an der Nahtstelle der beiden Militärblöcke errichtet wurde, galt als absolut verläßlicher Mensch. Die Nato-Türme horchten über die nur 10 Kilometer entfernte tschechoslowakische Grenze weit in den feindlichen Osten hinein, beobachteten gegnerische Truppenbewegungen, hörten Funkgespräche und vielleicht vieles mehr ab. Wieviel und was konkret, bleibt nach wie vor geheim.

Das Verteidigungsministerium hält sich noch immer bedeckt

Ein CSU-Abgeordneter aus dieser Region versprach, einiges darüber im Verteidigungsministerium in Berlin in Erfahrung zu bringen. Nach kurzer Zeit aber zog er sich ohne Erklärung zurück. Offensichtlich ist das Eisen mit der Frühwarnanlage immer noch zu heiß, obwohl die Türme 1990 entmilitarisiert wurden. Man sieht sie bereits aus 20 bis 30 Kilometern Entfernung: weiß gestrichen, mit stumpfen Spitzen und ringartigen Mittelbauten. Stumme Zeugen der Eisernen Zeit im Herzen unseres Kontinents und mitten im Naturschutz- und Erholungsgebiet der Oberpfalz.

Nun stehen sie nutzlos da und sorgen kaum mehr für Nervenkitzel, sondern für hitzige Debatten unter der Bevölkerung. Die einen, unter Berufung auf den Naturschutz, wollen sie abgebaut sehen. Die anderen, mit dem Verweis auf die Pflege der Geschichte, für die Nachwelt bewahren. Das Problem: Der Abriß der Anlage würde mehrere Millionen Euro verschlingen. Der Erhalt der Türme käme vielleicht noch teurer. Die kleine Gemeinde Rimbach, auf deren Boden die unheimliche Anlage steht, verfügt nicht über die notwendigen Mittel.

Werner Tutter, der im März 1983 starb, wurden diese Sorgen mit "seinen" Türmen erspart. Albert Vogl, ein 52 Jahre alter Bäcker aus einem benachbarten Dorf erinnert sich gut an Tutter: "Ich sah ihn des öfteren in Kötzting und Umgebung bei verschiedenen Kulturanlässen. Ja, das war ein feiner Mensch. Er konnte so schön reden, war kultiviert. Hochgeachtet war er, auch wegen seiner Arbeit auf dem Hohenbogen. Nur die Auserwählten durften dort arbeiten. Er gehörte zu ihnen. Erst jetzt wissen wir, wer er wirklich war." Das runde Gesicht Albert Vogls wird ernst. Dann lacht er kurz, rupft an seinem lichten blonden Schnauzer: "Sehen Sie, das ist doch fürwahr eine James-Bond-Geschichte, die unsere Gegend weltberühmt machen könnte: Ein Ostspion auf den geheimnisumwitterten Rimbacher Nato-Türmen."

In der Tat agierte auf dem Hohenbogen ein Ostspion. Das merkten ab und zu die Funker, die ihre Kollegen auf der tschechischen Seite im Ort Cerkova abhörten: "Hej, Václav, sei vorsichtig. Unser Freund schiebt heute wieder die Nachtwacht auf dem Hohenbogen." Wer wußte von wem mehr? Der Militärische Abschirmdienst (MAD) - bis 1984 "Amt für Sicherheit der Bundeswehr" (ASBw) - glaubte, auf die Spur des Maulwurfs gekommen zu sein und trat für eine Beschattung eines Turmmitarbeiters Namens "Meier" ein. Über Jahre hinweg, rund um die Uhr. "Meier" wurde schließlich unter Spionageverdacht festgenommen, monatelang verhört und mangels Beweisen freigelassen.

Der SS-Offizier sprach perfekt Tschechisch

Die Bespitzelung ging jedoch weiter. Neue Festnahmen, Verhöre und Versetzungen vergifteten das Leben "Meiers" gründlich. Erst nach dem Kalten Krieg, als der wahre Ostagent entlarvt wurde, bekam "Meier", der seinen richtigen Namen nicht verraten will, die verdiente Ruhe. Und eine späte Rehabilitierung.

Szenenwechsel: "Der Tod heißt Engelchen" war der Titel eines 1959 in der Tschechoslowakei erschienenen Romans, der schnell zum Bestseller wurde. Sein Autor, der ehemalige Partisan Ladislav Mnačko, erlangte über Nacht landesweite Berühmtheit. Nicht zuletzt war dies dem Partisanenkult sowie dem Kampf gegen den bereits toten Nationalsozialismus zu verdanken, die damals fester Bestandteil der kommunistischen Propagandarhetorik waren. Das Buch kam also sehr gelegen. Es wurde rasch zum Drehbuch. Ein gleichnamiger Film sorgte bald im Lande für klingelnde Kassen und zusätzlichen Deutschenhaß. Der Roman basierte auf einer wahren Tragödie, die sich am Ende des Zweiten Weltkrieges abgespielt hatte: Am 19. April 1945 äscherte ein SS-Sonderjagdverband der Division Brandenburg die Holzfällersiedlung Ploština ein. 24 seiner Bewohner wurden bestialisch ermordet. Ein nett aussehender Offizier der Waffen-SS, der perfekt Tschechisch sprach, zeichnete sich durch besondere Grausamkeit aus. Viele Opfer quälte er persönlich zu Tode. Da Mnačko seinen Namen nie erfahren konnte, nannte er ihn ironisch "Engelchen", was auf tschechisch auch "Todesengel" bedeutet.

Was der Altpartisane und Kommunist Mnačko nicht wußte und nicht wissen durfte, war der tschechischen Staatssicherheit genauestens bekannt. Daß das "Engelchen" etwa 1909 im Prager Stadtteil Smichov geboren wurde. Daß er Mitglied und Kreispropagandaleiter der
NSDAP in Preßburg und Agent des deutschen Geheimdienstes war. Daß er im slowakischen Ort Sekule Spezialkurse für die Diversantentätigkeit befehligte und als Waffen-SS-Offizier die Vernichtungsaktionen in den tschechischen Orten Prlov und Ploština mitkommandiert hatte. Über 92 Menschenleben hatte er auf seinem Gewissen. Daß das "Engelchen" 1953 eine beispiellose Metamorphose durchmachen durfte - "Konrad II" lautete nun sein Deckname beim neuen Brotgeber, dem tschechoslowakischen Geheimdienst. Anstatt den Kriegsverbrecher "Engelchen" der Justiz auszuliefern, schickten ihn die kommunistischen Machthaber als Spion nach Westdeutschland. Luděk Navara, Redakteur der tschechischen Tageszeitung Mlada fronta DNES, beschrieb diese unglaubliche Geschichte 2002 in einem gründlich recherchierten Dokumentarbuch. Das Buch wirbelte auf beiden Seiten der Grenze viel Staub auf, besonders in Kötzting und Hohenbogen.

Die Nato-Abhörtürme rückten plötzlich wieder ins Blickfeld des Interesses. Luděk Navara schreibt: "Eigentlich besaß er (das "Engelchen") dafür ideale Voraussetzungen. Der geborene Prager konnte perfekt Tschechisch, so daß er als Horchfunker und Tschechischlehrer zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten tätig war." Am Hohenbogen sitzend hatte "Konrad II" den Zugang zu wertvollen Informationen der Nato und der Bundeswehr. Im Dezember 1962 zum Beispiel übergab er dem Osten "die ganze Organisation und den Personalbestand des Luftwaffen-Fernmelderegiments 72 der Bundeswehr", lieferte präzise "Erkenntnisse zum Abhörsystem des Bundesnachrichtendienstes (BND)", und so weiter und so fort. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1974 konnte er ungestört in den weißen Rimbacher Türmen "weiterarbeiten."

Es gibt bereits Pläne für eine Umnutzung der Radartürme. Ein einheimischer Unternehmer stellt sich eine Art "Innovationszentrum" vor: Dort wo einst amerikanische, französische und deutsche Soldaten stationiert waren, würden ein Panorama-Café, ein Tagungszentrum, ein Museum sowie Unterkünfte für Schüler und Wanderer zu finden sein. Der Gemeinderat ist dem entsprechenden Antrag entgegengekommen und hat bereits einen Bauvorentscheid getroffen.

"Wir wollen die Anlage erhalten"

"Wir wollen diese Anlage, die eine Zeitepoche von 1950 bis 2000 markiert, für die Nachkommenschaft erhalten", sagte Gemeindepräsident Theo Amberger gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. "Einer der Türme, nämlich der größere mit den Fenstern, der bleibt auf jeden Fall da. Ich plädiere aber für den Erhalt der beiden Türme." Doch wie so häufig, ist das eine Frage des Geldes. Darum bleibt die Zukunft der Rimbacher "Twin Towers" offen. Es sei denn, daß ein zahlungskräftiger Interessent gefunden wird. Bislang hat das Münchener Landesamt für Denkmalschutz nur den großen Turm auf die Liste der geschützten Denkmäler gesetzt. So bleibt ein Teil des Ortes erhalten, an dem einst das "Engelchen" alias "Konrad II" seine verheerende Wirkung entfalten konnte - verewigt von Luděk Navara in dem Buch "Der Tod heißt Tutter".

Foto: Die weithin sichtbaren Türme auf dem Hohenbogen im Bayerischen Wald: Mächtige Überbleibsel der Ost-West-Konfrontation


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