© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Grotesk übersteigerte Erwartungshaltung
Berlin: Der erste Auftritt des NPD-Vorsitzenden als Parlamentarier erweist sich als unspektakulär / Neue Geschäftsordnung soll für "Sicherheitsabstand" sorgen
Christian Dorn

Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 17. September hat die NPD den Sprung in vier der zwölf Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) geschafft, in Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Neukölln und Treptow-Köpenick. Von besonderem Interesse ist der letzte Bezirk: hier ist der Sitz der NPD-Parteizentrale. Mit 5,3 Prozent der Stimmen hat die Partei drei von 55 BVV-Sitzen errungen.

Am vergangenen Donnerstag haben zahlreiche Medien Vertreter nach Köpenick entsandt, um den parlamentarischen Einzug der NPD in die Bezirksverordnetenversammlung in Person ihres Bundesvorsitzenden Udo Voigt zu dokumentieren, der angetreten ist, von hier die einstige "Reichshauptstadt" zu erobern. Das jedenfalls ist der naheliegende Schluß angesichts der immensen Presseschar, die die Trias der NPD-Abgeordneten mit Kameras aus allen Blickwinkeln zu fixieren versucht - als wäre ein gefährliches, dreiköpfiges Raubtier eingezogen. Zwei Tage zuvor hatte die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, medienwirksam im Haus der Bundespressekonferenz beschworen, daß, mit Blick auf das Erstarken der NPD und die gestiegenen Zahlen antisemitischer Vorfälle, die Situation heute genauso schlimm sei wie nach 1933.

Andere historische Bezüge wären, zumindest in diesem Lokalparlament, naheliegender. Denn neben Voigt und dem NPD-Landesvorsitzenden Eckart Bräuniger, der als Söldner bereits im Jugoslawienkrieg im Einsatz war, ist auch Fritz Liebenow Fraktionsmitglied. Letzterer führt sonst in kaiserlicher Uniform Touristen durch die Köpenicker Altstadt und trägt einen Schnurrbart im Stile des Hauptmanns von Köpenick. Fast auf den Tag vor 100 Jahren hatte der arbeitslose Schuster Wilhelm Voigt in seinem Schildbürgerstreich mit einer Hauptmannsuniform Soldaten rekrutiert, mit deren Hilfe er den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse beschlagnahmte. Die Geschichte ging um die Welt. Eine Zeitung bezeichnete das Gaunerstück damals als den "glänzendste(n) Sieg, den jemals der militaristische Gedanke in seiner äußersten Zuspitzung davongetragen hat."

Von ganz anderer Zuspitzung ist die Situation in der Hauptstadt im Jahre 2006. Als Ergebnis der rechtsextremen Wahlerfolge hatten sich die "demokratischen" Parteien in Alarmismus geübt, "Emfehlungen für den Umgang mit Rechtsextremen in den BVVen" erarbeitet und ihre Abgeordneten zu Schulungen eines Mobilen Beratungsteams geschickt, wo diese Abgrenzungstechniken trainieren sollten.

So versucht man, die NPD-Bezirksverordneten auch im Rathaus Köpenick zu ignorieren. In den Eröffnungsreden der konstituierenden Sitzung wird der Einzug der NPD kein einziges Mal erwähnt. Nachhaltiger jedoch ist die an diesem Tag beschlossene neue Geschäftsordnung. Demzufolge dürfen sich Parteien in der BVV künftig den Anträgen anderer nur noch anschließen, wenn diese dazu die Erlaubnis erteilen. Als die Abstimmung hierüber ansteht, passiert es dann doch: im wörtlichen Sinne "hinter dem Rücken" der Grünen-Fraktion, die ebenfalls dagegen votiert, erheben auch die NPD-Verordneten ihre Arme. Die Kameras klicken, der Saal tuschelt - seltsame Reflexe für einen gewöhnlichen demokratischen Vorgang.

Mit zunehmenden Wahlgängen lockert sich die verkrampfte Atmosphäre, besonders bei Versprechern. Der Saal lacht. Wo ein ursprünglicher Impuls des Menschseins hervorbricht, ist die Abgrenzung plötzlich außer Kraft gesetzt, so bei der Vorstellung eines CDU-Kandidaten, der von einem Parteifreund gerade wegen seines Nachwuchses herausgestellt wird, weil dieser bereits "vier Kinder zur Welt gebracht" habe.

Die grotesk übersteigerte Erwartungshaltung des Abends spiegelte sich auch in jener Begebenheit, die zugleich der "dramatischste" Moment des fünfeinhalbstündigen Abends sein sollte: Als zwei WASG-Verordnete an Voigts Tisch vorbeiwollen, fallen diesem seine Unterlagen auf den Boden - wie bei einer Ampel, die auf rot stellt, bleiben die Bezirksverordneten mit einem Sicherheitsabstand stehen. Voigt bückt sich schnell, greift die Papiere ohne hochzusehen - es ist "grün", die Abgeordneten passieren.

Durch die Bewegung im Saal häufen sich die Momente, in denen sich die Blicke dann doch streifen. Bei Udo Voigt, der seine erste parlamentarische Sitzung erlebt, huscht schließlich ein kurzes Lächeln über das Gesicht. Er empfinde die Sitzung als "zäh". Allerdings sei er "angenehm überrascht, daß das Antifa-Brimborium unterblieben ist". Ganz anders ging es dagegen in der BVV Lichtenberg zu. Dort mußte die Polizei 40 Personen gewaltsam entfernen, die mit "Nazi raus"- und Buhrufen die Rede des NPD-Verordneten Jörg Hähnel verhindern wollten.


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