© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Meldungen

Botho Strauß: Mythischer Realist

TRIER. Als Botho Strauß' Ruhm noch jung war, schrieb Eckhard Henscheid im wackeren Raben (12/1985) über "Paare, Passanten" (1981), daß diese Prosatexte exakt das "Produkt jener Schickimickikultur" seien, gegen die der Herr "Hochdichter" doch antreten wollte und der seine nachfolgenden Bücher dann "vollends verfallen" seien. Das germanistische Deutungshandwerk hat Henscheid mit diesem Verriß nicht nachhaltig beeinflussen können. Dieses arbeitet sich seit zwanzig Jahren an Strauß ab, ihn dabei als Klassiker klassifizierend. So wertet Helga Arend "Paare, Passanten" keineswegs als "Schickimicki", sondern als Meisterwerk des "mythischen Realismus" (Wirkendes Wort, 2/06). Bedenklich erscheint ihr nur, daß Strauß ästhetische Fixierung auf den "Mythos" in seinen publizistischen Ausgriffen dazu führe, ihn als "Propagandisten für neonazistisches Gedankengut" mißzuverstehen. Da dies aber nicht ins dichterische "Gesamtwerk" passe, werde Strauß insoweit nur "falsch interpretiert". Ob Henscheid mit seinem Hohn auf die "adornogestylte Aftervornehmheit" des uckermärkischen Einsiedlers nicht doch richtiger lag? Immerhin war der damit angedeutete Weg von der "Negativen Dialektik" zur totalitären Versuchung auch bei Theodor W. Adorno höchstpersönlich eher kurz.

 

Germanistik: Schritte der Theoriebildung

GÖTTINGEN. Der Funktionswandel der Geisteswissenschaften vollzieht sich seit Jahren als offener Prozeß. Klassische Berufsfelder kommen für die Absolventen dieser Disziplinen immer weniger in Frage. Statt dessen saugt eine gänzlich unüberschaubare "Kommunikationsbranche" den "gelernten" Soziologen oder Historiker auf. Zu den am stärksten von diesem Umbruch betroffenen Fächern zählt die Germanistik, die sich lange Zeit "kulturwissenschaftlich" verkleiden wollte und diese Maskerade auch heute noch als Konzept erfolgreicher Anpassung vertritt. Um das traditionelle Selbstverständnis als "Nationalphilologie" aufzulösen, wird seit langem die relativierende Kraft der Wissenschaftsgeschichte genutzt. In diesen Kontext fügt sich auch eine für den Herbst 2007 avisierte große Tagung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, die sich mit der germanistischen Theoriebildung in der Nachkriegszeit befassen soll, wobei die "Rezeption strukuralistischer und poststrukturalistischer Theoriebildung französischer und US-amerikanischer Provenienz" als "entscheidender Schritt" in der Germanistikgeschichte gewertet wird (Geschichte der Germanistik. Mitteilungen, 29/30-2006).

 

Erste Sätze

Entgegen den Aussagen patriotischer russischer Historiker wies Gott, als Er die Menschheit schuf, den Russen nicht die Gegend zu, die sie heute bewohnen.

Richard Pipes, Rußland vor der Revolution. Staat und Gesellschaft im Zarenreich, München 1977


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen