© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Käse für das Reich der Mitte
Landwirtschaft: Chinesen haben an Milch und Joghurt Geschmack gefunden / "Weiße Linie" findet reißenden Absatz
Harald Ströhlein

Nicht nur deutsche Nobelkarossen und Werkzeugmaschinen, japanische Elektronik oder italienische Mode finden in China reißenden Absatz, auch an Milch, Joghurt und Käse haben Millionen Chinesen inzwischen Geschmack gefunden. Während die Nachfrage der "weißen Linie" momentan noch überwiegend über Importe gedeckt wird, strebt die Volksrepublik sowohl in der Milcherzeugung als auch -verarbeitung die Autarkie an.

Das Reich der Mitte hat sich zur Drehscheibe der Wirtschaft gemausert. Mit einer Wachstumsrate von knapp zehn Prozent, die 2006 noch überboten werden dürfte, einem Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet über 1,8 Billionen Euro und Devisenreserven von über 800 Milliarden Dollar können sich die Chinesen zur viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt zählen. Durch die Vormachtstellung in zahlreichen Wirtschaftssparten ist China zu einem Exporteur erster Güte mit einem Handelsüberschuß von fast 102 Milliarden Dollar gereift.

Es gibt mehrere Gründe für diesen ökonomischen Feuerzauber. Die schon unter Mao Zedong verfolgte Doktrin der autarken Versorgung - gepaart mit einer Menschenmenge, die trotz strenger Geburtenregelung im Jahre 2030 wahrscheinlich die 1,5-Milliarden-Hürde erreichen wird - ist die Grundlage für Konsum, Wachstum und nicht zuletzt auch Wohlstand. Der Anteil der armen Bevölkerung, definiert mit einem Jahreseinkommen von umgerechnet unter 2.500 Euro, ist von ehemals über 95 Prozent (1985) auf rund 50 Prozent (2005) gesunken; in zehn Jahren soll der Anteil weniger als zehn Prozent betragen. Mit dem höherem Einkommen ändert sich auch der Lebensstandard der Chinesen, wie etwa die jährlich steigenden Ausgaben für Gesundheitsprodukte von fast zwölf Prozent oder für Lebensmittel von knapp sieben Prozent eindrucksvoll bestätigen.

Bislang unzureichende Milcherzeugung in China

Allein der Milchverbrauch hat sich daher in den letzten vier Jahren nahezu verdoppelt, was nicht zuletzt an der "von oben" verordneten Doktrin liegen dürfte, jedes Kind habe am Tag einen halben Liter Milch zu trinken. Die genetisch bedingte Laktoseintoleranz, die in asiatischen Ländern häufiger auftritt als bei uns, tut der zunehmenden Popularität der "weißen Linie" keinen Abbruch.

Laktosefreie Trinkmilch und ohnehin fermentierte Produkte wie etwa Joghurt oder Käse stellen für Menschen mit fehlender oder unzureichender Produktion des Enzyms Galaktosidase, welches die Laktose im Körper aufschließt, kein Problem dar. Ferner steigt das Ernährungsbewußtsein vor allem bei jüngeren Chinesen, was den reißenden Absatz von Joghurt, Käse und probiotischen Milchdrinks erklärt.

Zwar liegt auf dem Land der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an Milch gerade einmal bei sieben Kilogramm pro Jahr, in den Städten jedoch hat dieser die 25-Kilo-Grenze bereits überschritten und eine 40-prozentige Steigerung innerhalb von nur zwei Jahren erfahren. Während die Chinesen im Jahr 2005 rund 270.000 Tonnen Joghurt konsumierten, werden es dieses Jahr über 300.000 Tonnen sein. Diese Nachfrage zu befriedigen, ist China selbst nicht in der Lage. Die Milcherzeugung gleicht einem Flickenteppich, und Milchviehherden sind nur auf einzelne Regionen konzentriert.

So entfallen drei Viertel der ermolkenen Menge nur auf die sechs Regionen Mongolia, Heilongjang, Hebei, Shandong, Xinjiang und Beijing. Dort wird der überwiegende Teil der Milch auf kleinen Höfen mit drei bis fünf Kühen ermolken - etwa ein Viertel der Milchmenge stammt von Staatsfarmen mit durchschnittlich 200 Kühen. In Mittel-, Ost- und Südchina ist die Haltung von Kühen zur Milchgewinnung dagegen gänzlich unbekannt.

Trotzdem wurden in China zuletzt 23 Millionen Tonnen Milch bei einer jährlichen Wachstumsrate von 20 Prozent gewonnen, wodurch China zum am stärksten wachsenden Milcherzeuger weltweit avanciert ist. Gleichzeitig wuchs die Milchindustrie innerhalb der vergangenen Dekade um jährlich durchschnittlich 26 Prozent. Im globalen Vergleich steht das Land auf Platz sieben in der Milch- und auf Platz 16 in der Käseproduktion. Importe dieser Produktgruppen sind daher erwünscht und werden sogar vom Zoll begünstigt. Mehr noch heißt man in China die ausländische Zulieferindustrie willkommen, die das milchverarbeitende Gewerbe für die Zukunft ausrüstet.

So hat beispielsweise der schwedische Tetra Pak-Konzern, ein Marktführer auf dem Sektor der Verarbeitungs- und Verpackungsanlagen, mittlerweile fast 200 Millionen Euro in chinesische Produktionswerke investiert.

Deutsches Engagement ist noch zu kurzsichtig

Es ist ganz im Sinne der deutschen Landwirtschaft und der verarbeitenden Wirtschaft, daß Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) die bilateralen Handelsbeziehungen forcieren möchte und dabei den Absatz deutscher Milchprodukte in China - die dort ein hervorragendes Qualitätsimage genießen - auf verschiedenen Wegen fördern will. Angesichts des bisherigen Agrarhandelsdefizits - den deutschen Agrarausfuhren nach China in Höhe von 51 Millionen Euro standen 2005 Einfuhren im Wert von über 800 Millionen Euro gegenüber - bleibt auch genügend Luft nach oben.

Gut beraten wäre Berlin, die Beziehungen auch auf der Wissens- und Dienstleistungsebene auszubauen und zu vertiefen. Denn eines steht fest: Trotz marktwirtschaftlicher Spielregeln und der daraus resultierenden Wirtschaftsblüte ist in China nach wie vor ein kommunistischer Autarkismus verankert, der in seinem Streben nach Selbsterhalt sowohl in der Milchproduktion als auch in der -verarbeitung eine weltweite Vormachtstellung erreichen will. Dies ist mittlerweile bei anderen Agrargütern wie Fleisch, Getreide oder Kartoffeln schon geschehen. Allzuviel Zeit bleibt also nicht, den Löwen zu füttern.


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