© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Jugendarbeit im Kindergarten
"Kampf gegen Rechts" II: Die Friedrich-Ebert-Stiftung diskutiert über die Unterschiede des Rechtsextremismus in Ost und West / Entwicklung in der DDR
Fabian Schmidt-Ahmad

Vor dem Hintergrund des Wahlerfolges der NPD in Mecklenburg-Vorpommern und der Debatte um den Anstieg rechtsextremistisch motivierter Delikte veranstaltete die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in der vergangenen Woche eine Konferenz zum Thema "Rechtsextremismus in Ost und West. Andere Problemlagen - Andere Gegenstrategien?"

Anhand dieser Leitfrage faßte Birgit Rommelspacher von der Berliner Alice Salomon Hochschule ihre aktuellen Forschungserkenntnisse zusammen, nach denen sich der neue Rechtsextremismus, wie er sich in den östlichen Bundesländern ausbreite, in Hinblick sowohl auf die Anhängerschaft wie auch die politischen Akzentuierung vom traditionellen Rechtsextremismus Westdeutschlands unterscheide.

Während der herkömmliche, westdeutsche Rechtsextremismus eher von älteren Menschen unterstützt werde und mehr antikommunistisch ausgerichtet sei, finde der neue, mitteldeutsche Rechtsextremismus seinen Rückhalt überwiegend bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die mit einer antikapitalistischen Politik angesprochen werden. Entsprechend finden sich Unterschiede in der politischen Arbeit, die zugespitzt auf die Formel gebracht werden können: im Westen Ideologie - im Osten Aktion.

Enttäuschung der Nachwendezeit als Ursache

Kontrovers wurden die Gründe für die Stärke des Rechtsextremismus im Osten diskutiert. Machten die einen tendenziell die spezifische DDR-Prägung verantwortlich, sprachen andere wiederum eher von Versäumnissen nach der Wendezeit. Richard Stöss von der Freien Universität Berlin argumentierte, daß die "Selbstkompetenz" des Bürgers sich im DDR-Staat nicht entwickeln konnte, so daß jener anfällig für autoritäre Strukturen wäre. Auch legte Benno Hafeneger von der Universität Marburg dar, daß bereits Anfang der achtziger Jahre in der DDR vermehrt rechtsextremistische Aktivitäten registriert worden seien.

Dagegen wies Rommelspacher auf sozialwissenschaftliche Studien der Nachwendezeit hin, die zunächst keinen relevanten Unterschied in der Einstellung zwischen west- und mitteldeutschen Jugendlichen feststellten, dann aber eine Stärkung rechtsextremistischer Positionen im Osten beobachteten. Auch Martin Dulig (SPD), Mitglied des sächsischen Landtages, sah die "antifaschistische Erziehung der DDR" - bei allen Schwächen - eher als Schutz vor Rechtsextremismus und verwies auf entsprechende soziologische Indikatoren. Er sieht in der mitteldeutschen Enttäuschung der Nachwendezeit einen Grund für die Bereitschaft, rechtsextrem zu wählen.

Sowohl die Bundestagsabgeordnete Gabriele Fograscher (SPD) als auch ihre Parteigenossin und Parlamentskollegin Iris Gleicke kritisierten scharf das - mittlerweile wieder zu den Akten gelegte - Vorhaben der CDU, die im kommenden Sommer auslaufenden Projekte der Rechtsextremismusprävention nicht zu verlängern. Gleicke, hier selbst engagiert, warnte davor, daß die NPD jede Lücke in der Jugendhilfe sofort für sich auszunützen wisse. Auch die anwesenden Vertreter dieser Projekte äußerten sich dementsprechend.

Volker Maria Hügel von Pro Asyl vertrat die Meinung, daß eine wachsende latente Fremdenfeindlichkeit die Ursache für einen zunehmenden Rechtsextremismus sei. Verantwortlich machte er eine Politik, welche zwischen deutschen Staatsbürgern und Ausländern unterscheide und Anlaß zur Stigmatisierung biete. Die Lösung des Problems läge daher in einer rechtlichen Gleich- oder zumindest Besserstellung der betroffenen Menschen.

Allgemeiner Konsens war, daß das politische System in seiner Fähigkeit bedroht sei, umfassend in das Gemeinwesen zu integrieren. Uneinigkeit herrschte indes darüber, wie der drohende Verlust der mitteldeutschen Jugend an den Rechtsextremismus vermieden werden könnte. Mal sollte eine verstärkte Jugendarbeit schon im Kindergarten einsetzen, mal wurde ein stärkeres Engagement der Zivilgesellschaft eingefordert. Auch die aktuelle Debatte um die neue deutsche "Unterschicht" wurde mit einbezogen.

Der Osten als Experimentierfeld

Die eigentlich naheliegendste Feststellung, daß die etablierten Parteien offensichtlich nicht bestimmte Wünsche und Ängste der Wählerschaft artikulieren, fand in der Debatte keine Berücksichtigung. Dulig bezeichnete den Osten als Experimentierfeld sowohl des Rechtsextremismus als auch seiner Gegner. Solange aber diese Gegner sich weigern zu akzeptieren, daß seitens der NPD ganz ohne Scham Dinge angesprochen werden, welche die Menschen offenbar berühren, so lange muß man nicht sonderlich hellsichtig sein, um zu sehen, wer die Auseinandersetzung für sich entscheiden wird.


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