© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Tony Judt
In der PC-Falle
von Alexander Griesbach

Vor kurzem waren es die beiden US-Politologen Stephen Martin Walt und John Mearsheimer, die nach Erscheinen ihrer Studie "Die israelische Lobby und die Außenpolitik der USA" in das Fadenkreuz proisraelischer Lobbygruppen in den USA gerieten (JF 17/06). Beide Wissenschaftler gelten seitdem als "umstritten". Ein Vorgang, der keineswegs ein Einzelfall ist. Aktuell ist es der renommierte britische Historiker Tony Judt, selbst jüdischstämmig und ehemaliger Zionist, der erfahren mußte, daß die Meinungsfreiheit in den Vereinigten Staaten gewisse Grenzen hat.

Am 4. Oktober sollte der 1948 in London geborene Judt (Interview in JF 13/06), Leiter des Erich-Maria-Remarque-Instituts für Europäische Studien an der Universität von New York, einen Vortrag am polnischen Konsulat der Ostküsten-Metropole halten. Doch etwa eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung erhielt er eine Absage. Nach Auskunft des polnischen Generalkonsuls hätten Anrufe der Anti-Defamation League (ADL) und des American Jewish Commitee (AJC) zu dieser Entscheidung geführt. Abraham Foxman, Chef der ADL, bestätigte einen Anruf, bestritt aber, "Druck ausgeübt zu haben". Die Vorwürfe Judts, jüdische Organisationen glaubten, sie müßten interessierte Zuhörer von denjenigen fernhalten, die nicht mit Israels Nahostpolitik übereinstimmen, erklärte Foxman für "wilde Verschwörungstheorien". Daß der Vorwurf so abwegig nicht ist, ließ Polens Konsul durchblicken: "Der Telefonanruf war sehr diplomatisch, kann aber als Versuch gedeutet werden, sanften Druck auszuüben. Das ist offensichtlich."

Judts Probleme mit der "Israel-Lobby" haben eine längere Vorgeschichte. Am 23. Oktober 2003 veröffentlichte er einen Artikel in der New York Review of Books (NYRB), in dem er die Befürchtung äußerte, Israel könne sich mehr und mehr zu einem "kriegführenden, intoleranten, glaubensgesteuerten ethnischen Staat" entwickeln. Judt forderte dagegen, der jüdische Staat müsse zu einem "binationalen Gebilde" werden, mit "gleichen Rechten für Juden und Araber, die in Israel oder den palästinensischen Autonomiegebieten leben". Daraufhin wurde die NYRB innerhalb einer Woche mit über tausend Protestbriefen überschwemmt. Und Judt wurde bald aus dem Verzeichnis der Beiratsmitglieder im Impressum des Magazins gestrichen.

Davon unbeeindruckt ergriff Judt schließlich in der jüngsten Kontroverse um die Thesen von Mearsheimer und Walt das Wort und verwies darauf, daß sich die beiden Autoren im wesentlichen auf unumstrittene Quellen bezogen hätten. In diesem Zusammenhang wagte er die provozierende Frage: "Beeinflußt die Israel-Lobby unsere außenpolitischen Optionen? Natürlich tut sie das, das gehört zu ihren Zielen. Beeinflußt deren Druck, Israel zu unterstützen, US-Entscheidungen? Das ist eine Frage des Standpunkts." Zu allem Überfluß veröffentlichte Judt auch noch einen israelkritischen Artikel in der Tel Aviver Tageszeitung Ha'aretz. Nun sitzt er ganz tief in der PC-Falle.


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