© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/06 20. Oktober 2006

Auf Gott statt auf den Menschen ausgerichtet sein
Neue Sehnsucht: Die konservativ-katholische Priesterbruderschaft St. Pius wirbt für eine Rückkehr zum alten Meßritus
Werner Olles

Als während des Zweiten Vatikanischen Konzils der Vorsitzende der theologischen Kommission, Kardinal Ottaviani, das Wort ergriff, und gegen die geplante Änderung des Meßritus protestierte ("Es ist ungehörig, den Ritus der Heiligen Messe wie ein Stück Stoff zu behandeln, das man nach der Mode und der Phantasie jeder Generation zurechtschneidert"), überschritt der fast ganz Erblindete, der ohne Manuskript sprach, die ihm zustehende zehnminütige Redezeit. Der Versammlungspräsident, Kardinal Alfrink, ließ ihm kurzerhand das Mikrophon abstellen. Ottaviani kratzte daran, begriff dann das Vorgefallene und setzte sich schweigend. Die angeblich vom Heiligen Geist gelenkte Vollversammlung brach in Jubel aus, applaudierte Alfrink und machte sich über den bedeutendsten Kurienkardinal und Präfekten des Heiligen Offiziums lustig.

Seitdem sind über vierzig Jahre vergangen, und die Krise der römisch-katholischen Kirche ist mit Händen zu greifen. Anstelle des Meßopfers ist eine protestantisch orientierte Mahlfeier getreten, Häresien wuchern allerorten, doch die Häretiker berufen sich - nicht zu Unrecht - auf den "Geist des Konzils", und so läßt man sie gewähren. Charismatische, arianische und selbst atheistische Theologen und Priester treiben im Innenraum der Kirche ihr Unwesen, in den Gotteshäusern finden die verrücktesten Events statt - oder man stellt, wie in Frankreich geschehen, gleich Mohammedanern Kirchen zur Verfügung, die dann zu Moscheen umgewidmet werden.

Viele Gläubige fühlen sich jedoch inzwischen von diesen Obskuritäten abgestoßen. Eine "neue Sehnsucht nach dem alten Ritus" ist spürbar, wie die jüngste Schrift der traditionalistischen Priesterbruderschaft St. Pius X. vermerkt. Bereits 1998 plädierte der damalige Kurienkardinal Joseph Ratzinger dafür, "die Feier der Messe in lateinischer Sprache wiederzuentdecken". Zwar blieb sein Appell an die Bischöfe weitgehend ungehört, doch erheben sich immer mehr Stimmen, die angesichts des katastrophalen Zustands nach der Liturgiereform - im Grunde eine Klerikalisierung der Laien - zum Fundament der Liturgie zurückkehren wollen, um Jesus Christus wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Denn laut katholischem Glauben ist Christus bei jeder Eucharistiefeier in den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig.

Statt Laienpredigten mit netten Besinnungsworten, Tänzen im Altarraum, rastlos Liedtexte verteilenden Kindern, Abschaffung der Kommunionbänke, Hand- und Stehkommunion, Kommunionshelferinnen und Meßdienerinnen fordern glaubenstreue Katholiken und Traditionalisten die Wiedereinsetzung des ehrwürdigen Ritus der römischen Messe, die immerhin über 1.500 Jahre alt und deren Kern die Offenbarung Christi ist. Dagegen stellt die sogenannte Neue Meßordnung (NOM) keine organische Fortentwicklung des überlieferten römischen Ritus dar, wie oft behauptet wird, sondern ist ein offener inhaltlicher Bruch mit der jahrtausendealten Liturgiegeschichte der Kirche, "dessen Folgen nur tragisch sein konnten" (Ratzinger).

"Was das Konzil hervorbrachte, war keine Veränderung, sondern ein qualitativer Umschlag. An die Stelle der alten Kultur eines präsentativen Symbolgefüges (...) einer Einheit aus sakral verhülltem Text, Gesang, ritueller Gestik, Musik, Weihrauchdämpfen, festlichem Raum als einem 'Theater' in jenem vorzüglichen Sinn, der bis in die Antike zurückweist (...) trat eine ad hoc erfundene Lehrveranstaltung" (Alfred Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter). Und in der Tat hat die Kirche eine zweite Säkularisation erlebt mit dem zweifelhaften "Erfolg" kaum noch stattfindender Berufungen, massenhafter Austritte, einer verstümmelten blasphemischen Messe mit gefälschten Wandlungsworten, der Zelebration "versus populum" (zum Volke hin) anstatt zum Allerheiligsten und nach Osten und einem neuen ökumenischen Ritus.

Um so wichtiger ist es daher, den überlieferten römischen Ritus, jene Form der heiligen Liturgie, die in ihren wesentlichen Elementen seit "unvordenklichen Zeiten" existiert, als ewigen Glauben an das eucharistische Geheimnis endlich wieder zum katholischen Prinzip zu erklären, so die Pius-Bruderschaft in ihrer Streitschrift. Als Außenreaktion an einige tausend Priester in Deutschland dient ihr Büchlein dazu, der "neuen Sehnsucht nach dem alten Ritus" ein geistig-geistliches Fundament zu geben.

Priesterbruderschaft St. Pius X., Distrikt Deutschland, Hrsg.: Neue Sehnsucht nach dem alten Ritus. Der vergrabene Schatz im Acker. Sarto-Verlag, Altötting 2006, broschiert, 103 Seiten, Abbildungen, 4,9O Euro


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