© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/06 20. Oktober 2006

"Auf ganzer Linie gesiegt"
Frankreich: Gesetz gegen Leugnung des Völkermords an den Armeniern ist heftig umstritten
Alain de Benoist

Wer den türkischen Völkermord an den Armeniern von 1915 bis 1917 leugnet, kann in Frankreich künftig mit einem Bußgeld von bis zu 45.000 Euro oder einem Jahr Gefängnis bestraft werden. So sieht es ein neues Gesetz vor, das letzte Woche in der Nationalversammlung mit 106 zu 19 Stimmen beschlossen wurde. Die Mehrheit der insgesamt 577 Parlamentarier blieb der Abstimmung fern.

Bereits 2001 war die Armenier-Verfolgung per Gesetz als "Völkermord" eingestuft worden. Das neue Gesetz dient ausschließlich der Befriedigung der Forderungen der armenischstämmigen Minderheit in Frankreich (etwa 450.000 Personen). "Wir haben auf ganzer Linie gesiegt. Nun können wir uns als nächstes die Präsidentschaftskandidaten vornehmen", erklärte Pascal Chamassian, der Präsident des Rats zur Koordination armenischer Organisationen in Frankreich.

Als unmittelbares Ergebnis zeitigte der Parlamentsbeschluß eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Frankreich und der Türkei. Dort vertritt eine überwältigende Mehrheit die Meinung, die Massaker an Armeniern (denen die "jungtürkische" Regierung vorwarf, die russischen Truppen zu unterstützen) könnten nicht als "Völkermord" bezeichnet werden. Vielfach kam es zu Protestdemonstrationen und Aufrufen zum Boykott französischer Produkte.

Tatsächlich ist dieser demagogische Gesetzentwurf nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen schlicht unzulässig, weil er eine neuerliche Einschränkung der Meinungsfreiheit bedeutet. Er ist überdies surrealistisch, denn es erschließt sich nicht, inwieweit Frankreich von den Massakern der Türken an den Armeniern betroffen ist - ein historisches Ereignis, über das ein Großteil der Franzosen nichts weiß.

Die Wissenschaft soll die historische Wahrheit finden

Dieser Beschluß ist ein nächster Schritt auf dem Weg, den das Parlament beschritt, als es 1990 die berühmte Loi Gayssot verabschiedete, das die Leugnung der Shoa unter schwere Strafe stellt. Seither haben alle möglichen Interessengruppen sich um offizielle "Anerkennung" tragischer Ereignisse bemüht, die ihren Verwandten oder Vorfahren widerfuhren.

Inzwischen wurden "Gedenkgesetze" auch bezüglich der historischen Behandlung von Schwarzafrikanern erlassen. Daraufhin gab es einen heftigen Streit um andere Gesetzentwürfe, in denen die positiven oder negativen Aspekte der Kolonialpolitik gewürdigt werden sollten. An diesem Punkt mischten sich Historiker ein, um klarzustellen, daß es weder dem Parlament noch der Rechtsprechung anheimfällt, wissenschaftliche Diskussionen abzuwürgen. Daher lehnte die französische Regierung das neue Armenien-Gesetz ab. Premier Dominique de Villepin beteuerte, es sei nicht Sache der Politik, sondern der Wissenschaft, die historische Wahrheit zu finden.

An Massakern fehlt es auch der eigenen Landesgeschichte keineswegs. Zwischen Januar und Juli 1794 versuchten die Revolutionäre, die gesamte Bevölkerung der Vendée zu vernichten. "Republikanische Bürger, es gibt die Vendée nicht mehr! Sie ist samt ihren Frauen und ihren Kindern unter unserem freien Säbel gestorben. Ich brauche mir keinen Vorwurf zu machen, einen einzigen Gefangenen genommen zu haben", erklärte damals General François-Joseph Westermann. Wer diese Massaker leugnet, braucht jedoch keinerlei Strafverfolgung zu befürchten.

 

Alain de Benoist, französischer Philosoph, ist Herausgeber von "Eléments" sowie Chefredakteur von "Nouvelle Ecole" und "Krisis".


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