© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/06 20. Oktober 2006

Weniger ehrgeizige Ziele setzen
Großbritannien: Heereschef kritisiert Tony Blairs Irak-Politik / Truppenabzug sollte nicht noch mehrere Jahre dauern / Lob für Mut
Alexander Griesbach

Sir Richard Dannatt sorgte letzte Woche für Aufsehen. Während Premierminister Tony Blair im September auf dem Labour-Parteitag die britische Truppenpräsenz sowohl in Afghanistan als auch im Irak noch mit Verve verteidigte und den Rückzug als "feige Kapitulation" geißelte, plädierte der britische Generalstabschef in der Daily Mail genau dafür.

Die Truppen müßten bald aus dem Irak zurückgezogen werden: "Ich sage nicht, daß die Schwierigkeiten, mit denen wir auf der Welt konfrontiert sind, durch unsere Truppenpräsenz im Irak verursacht sind, aber unsere dortige Anwesenheit verschärft sie." Die Soldaten befänden sich dort in einem muslimischen Land, und die Ansichten von Muslimen über Ausländer in ihren Ländern seien ziemlich klar. Als Ausländer sei man dann in einem Land willkommen, wenn man eingeladen worden sei; die britischen Truppen aber seien nicht von den Irakern eingeladen worden. Ihn treibe die Sorge, so betonte Dannatt, daß die Armee zerbrechen könnte, wenn sie zu lange im Irak bliebe.

Die Geschichte werde zeigen, daß die Planung für das, was nach der erfolgreichen Kampfphase folgen sollte, armselig gewesen sei; sie basierte wohl mehr auf Optimismus denn auf wirklicher Planung. Blairs Ziel, im Irak eine liberale Demokratie aufbauen zu wollen, bezeichnete Dannatt in diesem Zusammenhang als "naive Hoffnung"; der Westen werde es nicht schaffen, im Irak eine pro-westliche Regierung zu etablieren. Man sollte sich statt dessen ein "weniger ehrgeiziges Ziel setzen", so Dannatt. Auch die Kampagne zum Wiederaufbau des Iraks sei "schlecht geplant" gewesen und habe "wahrscheinlich mehr auf Optimismus denn auf gründlicher Planung gefußt".

Die islamistische Herausforderung annehmen

Aufschlußreich sind auch die Äußerungen zur Innenpolitik: "Wenn ich die islamistische Herausforderung in unserem Land sehe, kann ich nur hoffen, daß diese aufgrund des moralischen und spirituellen Vakuums (in Großbritannien, d. V.) nicht ungebührlich voranschreitet." England sei immer in christliche Werte eingebettet gewesen; mit der Aufhebung dieser Verankerung bestünde die Gefahr, daß sich England an dem vorherrschenden Wind orientiere. "Es wird behauptet", so Dannatt, "daß wir in einer postchristlichen Gesellschaft leben. Ich denke, das ist eine große Schande. Die breite judäisch-christliche Tradition hat die britische Gesellschaft gestützt. Sie stützt die britische Armee."

Die islamistische Herausforderung könne nicht ignoriert werden. Er glaube, daß die Armee sowohl im Irak wie in Afghanistan als auch bei zukünftigen Einsätzen gegen "die ausländische Dimension der Herausforderung unseres akzeptierten Lebensstils" kämpfe. Man müsse die islamistische Herausforderung annehmen und denen entgegentreten, die im Namen des Islam und auf pervertierte Weise anderen, die dies nicht wünschten, den Islam aufzuzwingen versuchten.

Derart offene Worte eines aktiven Generals zu gesellschaftlichen Fragen bzw. zur Regierungspolitik hat es in der englischen Geschichte bisher selten gegeben. Nick Robinson, der Ressortchef Politik der BBC, konstatierte, daß der Heereschef in vielem der Regierung widerspreche. Das britische Verteidigungsministerium sah sich sogar zu einer direkten Stellungnahme veranlaßt: "Wir sind dort (im Irak, d. V.) mit unseren internationalen Verbündeten zur Unterstützung der demokratisch gewählten Regierung unter einem klaren Mandat der Vereinten Nationen."

Der britische Generalmajor Patrick Cordingly zeigte sich von den Äußerungen des 55jährigen Dannatt beeindruckt: "Ich denke, es war sehr mutig von ihm, so etwas zu sagen. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem man die Dinge im Irak laufen lassen muß. Der Irak muß dann selbst für seine Sicherheit sorgen."

Hinter den Kulissen gab es aber wohl erheblichen Druck auf den erst im August ernannten Heereschef, denn kurz nach seinem Interview sah er sich veranlaßt, seine Äußerungen zu "relativieren". Seine Bemerkungen seien "aufgebauscht und teilweise aus dem Zusammenhang gerissen worden", erklärte er der BBC und betonte, daß es mit Blair keine "grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten" gebe. Allerdings unterstrich Dannatt, daß der Abzug der britischen Iraktruppen nicht noch mehrere Jahre dauern sollte. Daß er von Verteidigungsminister Des Browne zurechtgewiesen worden sei, bestritt er.

Foto: Britische Soldaten bei einer Kontrolle im Irak: Nicht eingeladen


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