© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/06 20. Oktober 2006

Gekünstelte Harmonie-Appelle
CSU-Parteitag: Die Partei hat den Glauben an Edmund Stoiber noch nicht verloren, aber sie beginnt zu zweifeln
Paul Rosen

Wahlerfolge sind das Zahlungsmittel der Politik, Umfragewerte die Optionsscheine. Ein bei Wahlen erfolgreicher Politiker kann sich im Glanz seiner Pateitagsdelegierten sonnen. Sobald Zweifel an der Erfolgsgarantie auftauchen, wird dieser Glanz matter. So geht es derzeit Edmund Stoiber. Seine CSU, die erfolgreichste Partei Deutschlands, sinkt in Umfragen. Sie hat zwar noch nicht den Glauben an den Ministerpräsidenten des Freistaates verloren, aber sie beginnt zu zweifeln. Nur mit Mühe gelang es Stoiber auf dem CSU-Parteitag in Augsburg, die Zweifel einzudämmen und seine Partei wieder zu stabilisieren. Zwei Umstände halfen Stoiber: Die innerparteiliche Opposition ist schwach, und eine personelle Alternative ist nicht in Sicht.

So galt es unter den 1.000 Delegierten in Augsburg als ausgemachte Sache, daß Stoiber im nächsten Jahr wieder als CSU-Vorsitzender antritt und 2008 auch Spitzenkandidat bei der Landtagswahl werden wird, auch wenn selbst ihm sehr nahestehende Politiker seinen Rückzug aus Berlin, wo er Wirtschaftsminister werden sollte, noch verübeln. Es wird vermutlich der letzte Landtagswahlkampf des heute 65 Jahre alten Politikers sein, der bei der letzten Wahl sogar eine Zweidrittelmehrheit der Sitze im Landesparlament erreichte.

Dem Erfolg in Bayern ordnet der CSU-Chef alles unter: Die Koalitionsräson in Berlin ist ihm egal. Daß er seit dem Streit um die Gesundheitsreform als Dickschädel bezeichnet wird, empfindet Stoiber sogar als Auszeichnung: "Das ist für uns in Bayern ein echter Ehrentitel, wenn's drauf ankommt." Auch wenn er aus den Reihen der SPD als "Dr. No" bezeichnet werde, sei das eher schmeichelhaft: "Bei den vielen Vorschlägen, die aus der SPD auf den Tisch der Großen Koalition kommen, ist Dr. No geradezu eine Auszeichnung."

War es früher in der CSU üblich, den Koalitionspartner zu schonen, so hat Stoiber alle Hemmungen fallenlassen. Zur Bildung der Großen Koalition in Berlin war man im letzten Herbst gezwungen, richtig akzeptiert wurde das Bündnis an der CSU-Basis nie.

So setzte sich Stoiber in Augsburg an die Spitze der Kritik und griff die SPD und ihren Vorsitzenden Kurt Beck hart an: "Wir könnten noch wesentlich mehr Fortschritte in Berlin erreichen, wenn die SPD als Koalitionspartner nicht bei vielen Themen auf der Bremse stehen und blockieren würde." Es sei nicht hinnehmbar, wie Beck und die SPD mit Kanzlerin Angela Merkel umgingen. Nach siebenjähriger Regierungszeit habe die SPD das Land in einer depressiven Stimmung hinterlassen. Angesichts dieser Erblast habe es die Union nicht nötig, sich von Beck beleidigen zu lassen.

Die Kanzlerin erringt nur einen Etappensieg

Gekünstelt wirkten die Harmonie-Appelle von Stoiber und der ebenfalls in Augsburg auftretenden Kanzlerin Angela Merkel. Die beiden Politiker duzen, mögen sich aber dennoch nicht. Merkel vermied es, in ihrer Rede die strittige Gesundheitsreform überhaupt nur zu erwähnen, was einem Armutszeugnis gleichkommt. Sie spickte ihre Rede mit konservativen Thesen, um Beifall zu erhaschen, was ihr letztlich auch gelang. Die Kanzlerin erzielte einen Etappensieg - mehr nicht.

Es sieht so aus, als wolle Stoiber Bayern und die CSU vom Rest der Republik, ja sogar von europäischen Entwicklungen abkoppeln. So wie Bayern in wirtschaftlicher Hinsicht und auch im Bildungssystem weit vor anderen Ländern liegt und außerdem als erstes Bundesland ohne Neuverschuldung auskommt, möchte Stoiber einen unsichtbaren Zaun um seinen Freistaat ziehen, um für die CSU negative politische Entwicklungen fernzuhalten. Schon lange vor dem Parteitag warnte er vor einem Zerfall des deutschen Parteiensystems und tat dies auch in Augsburg wieder, indem er "italienische Verhältnisse" als Negativszenario beschwor.

Stoibers Warnungen haben einen realistischen Hintergrund. Genauer als in Berlin hat man sich in München mit dem Wahlergebnis in Österreich beschäftigt. Trotz wirtschaftlicher Erfolge, auf die man sogar in Bayern neidisch ist, verlor die Österreichische Volkspartei stark. 350.000 österreichische Hausfrauen hätten sich abgewandt; im Gegensatz zur CSU habe die ÖVP rechte Demokraten nicht integrieren können. Stoiber will die drohende Zersplitterung der bürgerlichen Kräfte in Bayern aufhalten. 2008 könnte er das noch einmal schaffen, seine Nachfolger aber nicht mehr.

Foto: CSU-Chef Stoiber (M.) läßt sich feiern: "Echter Ehrentitel"


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