© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/06 06. Oktober 2006

Gewalt der Demographie
Matthias Bäkermann

Dieses Jahr ist Indien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Bereits 1986 - als es statt Gastländern noch jährliche Themenschwerpunkte gab - drückte der Subkontinent der Bücherschau seinen Stempel auf. Vor zwanzig Jahren allerdings war Indien noch ein klassisches Entwicklungsland mit bitterster Armut und hoher Sterblichkeit unter den 700 Millionen Einwohnern, die sich in Stadt und Land verteilten. Die "Erste Welt" konkurrierte mit der "Zweiten Welt" zwar um die politische Gunst des schlafenden Riesen, ansonsten exportierte man noch keine Arbeitsplätze, sondern die Industriezweige, deren Schmutz und Gefahr man nicht vor der eigenen Haustür haben und allenfalls den Bewohnern von Orten wie Bhopal zumuten wollte.

Heute dürften die Inder mit weitaus breiterer Brust in das alternde Europa reisen. Weniger die militärische Potenz - Atommacht und viertgrößte Armee der Welt - läßt das alte Bild der Millionen Einwohner fassenden Slums verblassen, sondern die turnhallengroßen Programmierungsstätten mit Hunderten junger kompetenter "Computerinder" vermitteln eine Ahnung, welche "Herausforderung" dem Westen in Süd-asien erwächst. So untertitelt der Spiegel-Journalist Olaf Ihlau, langjähriger Indien-Korrespondent, sein pünktlich zur Messe erschienenes Werk (Weltmacht Indien. Siedler Verlag, München 2006, 224 Seiten, gebunden, 19,95 Euro). Ihlau beschreibt den Aufbruch, der seit der Zeit des Spinnrades vor fünfzig Jahren noch lange nicht am Ende ist, auch wenn dieser Durchmarsch von enormen sozialen Verwerfungen, aber auch außenpolitischen Gefahren wie dem schwelenden Konflikt mit der islamischen Atommacht Pakistan begleitet ist. Darin ähnelt die neue Wirtschaftsmacht dem chinesischen Nachbarn, dessen angstmachender ökonomischer Aufstieg jedem Europäer bereits allseits präsent ist. Doch ähnlich dem sterbenden Westen wird auch China in den nächsten Jahrzehnten dank seiner jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik demographische Probleme bekommen - mit allen uns mittlerweile so vertrauten Faktoren von Stagnation.

Dann wird das laut Prognose bis 2050 auf 1,7 Milliarden Menschen angewachsene Indien als bevölkerungsreichster Staat immer noch vom Schwung einer jungen Gesellschaft profitieren können und als Wirtschaftsgroßmacht neben China seinen Platz gefunden haben.


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