© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/06 06. Oktober 2006

Nur der Charakter zählt
Comic von Reife und literarischer Autonomie: Hugo Pratts Abenteurer Corto Maltese steht stets zwischen den Fronten
Michael Hofer

Wie rechts sind eigentlich Comics? Zum Beispiel "Asterix": Der zaubertrankgedopte Gallier wurde einst von Richard Herzinger und Hannes Stein, zwei militanten Parteigängern des westlichen Liberalismus, als übler ethnopluralistischer Rebell dingfest gemacht, der die ethnisch homogene Blut-und Boden-Gemeinschaft seines Dorfes verblendet gegen den heilbringenden Universalismus des Römischen Imperiums verteidigt. Hergé, der Vater von "Tintin" ("Tim und Struppi"), schrieb in den 1920ern für eine katholisch-konservative Zeitung und stand zeitweise dem "Rexismus" Léon Degrelles nahe (JF 25/06). Schließlich wären da noch die amerikanischen Superhelden-Comics, deren mythische Übersteigerung der "Law and Order"-Mentalität durchaus rechte Züge trägt. Diesen Aspekt haben in den achtziger Jahren Comic-Künstler wie Frank Miller ("Der dunkle Ritter kehrt zurück") und Alan Moore ("Watchmen - Die Wächter") ambivalent hervorgearbeitet.

Bewährung auf See, in der Wüste und im Dschungel

Vor allem unter französischen Rechten beliebt ist auch Hugo Pratts "Corto Maltese". Die Abenteuer des "Kapitäns ohne Schiff" Corto Maltese im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts begannen 1967, als in dem italienischen Magazin Sgt. Kirk die erste Folge der "Südseeballade" erschien, die bald zu einem umfangreichen Epos von über 200 Seiten anschwoll - der erste "Comic-Roman" war geboren.

Seit seinem frühen Debüt als Zeichner im Jahre 1945 hatte Autor und Zeichner Hugo Pratt unzählige Abenteuer-, Kriegs-, und Westerngeschichten produziert, am bekanntesten die Serie "Ann und Dan", die im Ostafrika des Jahres 1913 angesiedelt war. Pratts bevorzugte Motive fanden schließlich ihre geglückte Synthese in "Corto": exotische Schauplätze, die Ära des späten Kolonialismus, Krieg, Magie und Mystik, verborgene Schätze, schillerndes Personal, Bewährung auf See, in der Wüste und im Dschungel. Als literarische Vorbilder dienten Herman Melville, Robert Louis Stevenson, Joseph Conrad, Jack London, B. Traven.

Diese Affinität lag Pratt geradezu im Blut: Seine Biographie, sofern wir der Legendenbildung des phantasievollen Autors glauben wollen, hat pittoreske Züge. Geboren wurde Pratt am 15. Juni 1927 in Rimini. Sein Vater Rolando war Offizier, glühender Faschist und stammte aus "anglo-französisch-jüdisch-venezianischer Ehe", wie sein Sohn einmal die verwickelte Herkunft seiner Familie zu summieren versuchte. Den englischen Nachnamen hatte Pratt von seinem aus Cornwall stammenden Großvater Joseph Pratt, dessen Bruder William Henry unter dem Künstlernamen Boris Karloff bekannt wurde. 1937 zogen die Pratts in die italienische Kolonie Abessinien. Als es während des Zweiten Weltkrieges zum Aufstand unter Haile Selassi kam, schlossen sie sich einer faschistischen Miliz an. Im April 1941 wurde die Familie gefangengenommen und interniert. Ein Jahr später erfolgte die Repatriierung nach Italien über das Rote Kreuz.

Weitere abenteuerliche Verwicklungen brachten Pratt schließlich an die Seite der Alliierten, für die er als Dolmetscher arbeitete. Von 1949 bis 1962 lebte und arbeitete Pratt in Argentinien. Sein unstetes Leben endete am 21. August 1995, als er in einem Krankenhaus in Lausanne einer Krebserkrankung erlag. Seine letzten Veröffentlichungen waren melancholische Geschichten über Flieger, die während des Zweiten Weltkriegs mit dem Tod in den Weiten des Himmels konfrontiert sind. So Antoine de Saint-Exupéry in "Sein letzter Flug" und ein fiktiver italienische Pilot in "An einem fernen Himmel", laut Pratt "eine Geschichte über Kameradschaft, Liebe und Tod".

"Corto Maltese" setze sich nach der "Südseeballade" in mehreren Kurz- und Langgeschichten fort, die den auf Malta geborenen Seemann britisch-spanischer-zigeunerischer Herkunft um die ganze Welt führten. Schauplätze waren vor allem die Südsee, Südamerika und Afrika, aber auch Asien, Europa und Rußland.

Fremde Völker und Kulturen werden dabei nicht mit dem Kolonial-blick eines Europäers geschildert. Pratt stellt sichtbar fasziniert ihre Eigenart und Würde heraus, ohne sie zu verkitschen oder politisch korrekt zu bügeln. Dabei bezog er in reizvoller Weise die historischen Umstände, wie etwa den Ersten Weltkrieg, in die Erzählung mit ein.

Aus seiner Sehnsucht machte Pratt Literatur

In einer seiner besten Geschichten, "Corto Maltese in Sibirien", trifft Corto auf den verrückten baltischen Baron Roman von Ungern-Sternberg, der im Zuge des russischen Bürgerkriegs in der Mongolei ein bizarr-blutiges Regime errichtete. Die Dialoge stammen zum Teil von Pratts Freund Jean Mabire, der der Nouvelle Droite nahestand und Standardwerke über die französische Waffen-SS verfaßt hat. Gastauftritte historischer Figuren erfolgten häufig in "Corto Maltese", so tauchten unter anderem Jack London, Hermann Hesse, Man-fred von Richthofen, Josef Stalin oder Louise Brooks auf. Immer wieder schlägt Pratts Faszination für militärische Ästhetik, Uniformen und Abzeichen durch, die er in seinen Geschichten akribisch und historisch exakt wiedergab. Corto Maltese ist ein romantischer Individualist, den ein Hauch von Nihilismus umweht, eng verwandt dem "Abenteuerlichen Herzen" Jüngers oder Rimbauds. Pratts Geschichten sind gepflastert von plötzlichen gewaltsamen Toden, seine in der Grauzone zwischen Gut und Böse wandelnden Figuren töten kaltblütig, lakonisch und kurzentschlossen. Corto Maltese steht stets zwischen den Fronten, autokratisch, dezisionistisch, bald auf dieser, bald auf jener Seite kämpfend. Ideologien und den "schönen Ideen, für die man stirbt" steht er skeptisch gegenüber. Ausschließlich der Charakter zählt, nicht die ethnische oder weltanschauliche Herkunft.

Die mitunter knallharte Handlung steht in reizvollem Kontrast zu der leichtfüßigen Eleganz von Pratts Zeichnungen. Die mit wenigen Federstrichen meisterhaft evozierte Atmosphäre ist oft wichtiger als die Geschichte selbst, die manchmal ins Traumhaft-Unwirkliche umschlägt: Magische Kräfte, Visionen und Erscheinungen sind keine Seltenheit in Corto Malteses Kosmos. Dieser ist dank der Kult-Editionen, die die beim Carlsen-Verlag abgebrochene Neuausgabe von Pratts Hauptwerk fortführen, auch hierzulande zu entdecken. Der jüngste Band "Die Äthiopier" versammelt vier in Afrika spielende Kurzgeschichten - erstmals in Farbe. Das Vorwort stammt von Pratt-Freund und -Bewunderer Umberto Eco, verfaßt anläßlich der Erstausgabe 1979. Für Eco führte der Zeichner "den Comic zu höheren Würden von Reife und literarischer Autonomie". Er "macht aus seiner Sehnsucht Literatur und aus unserer Sehnsucht das Thema einer Abenteuergeschichte".

Hugo Pratt: Corto Maltese - Die Äthioper. Kult-Editionen, Wuppertal 2006, gebunden, 112 Seiten, 24,95 Euro

Fotos: Comic-Figur Corto Maltese in dem Band "Die Äthiopier": Umweht ihn nur ein Hauch Nihilismus oder doch der Lockduft des Todes?, Corto Maltese, "Die Äthiopier": Vorwort von Umberto Eco


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