© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/06 06. Oktober 2006

"Angedachte Greuelszenarien"
Zur literarischen und historischen Anatomie von Lothar-Günther Buchheims "Boot", dessen Verfilmung vor 25 Jahren ein Massenpublikum erreichte
Oliver Busch

Es gibt wohl kein Ereignis aus dem Zweiten Weltkrieg, dessen Präsenz im Bewußtsein der Nachkriegsgenerationen im gleichen Maß von einem einzelnen literarischen Gestaltungsversuch geprägt erscheint, wie der U-Boot-Krieg durch Buchheims Roman 'Das Boot'". Nicht nur das: Dieser 1973 erstmals veröffentlichte, in alle Weltsprachen übersetzte, millionenfach verkaufte und vor 25 Jahren mit überwältigendem Erfolg verfilmte Roman dürfte für die Literarisierung des Zweiten Weltkriegs den Rang einnehmen, den man für den Ersten Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" (1929) zuschreibt.

Der Grazer Germanist Franz K. Stanzel, der sich der "literarischen und historischen Anatomie" dieses "Bestellers" widmet (Germanisch-Romanische Monatsschrift, 2/06), fördert in seiner Analyse einen bislang kaum beachteten Aspekt der fiktionalen Komposition, der "narrativen Machart" zutage, der einiges zum Welterfolg beitrug. Denn der einstige Kriegsberichterstatter Lothar-Günther Buchheim, der Ende 1941 auf U 96 zwei Feindfahrten im Atlantik mitgemacht hatte, beanspruche für sein Epos zwar historische Authentizität, habe den tatsächlichen Verlauf der U 96-Einsätze aber in massiver Weise fiktionalisiert. Stanzel streicht dabei primär Buchheims "Neigung zur Vordatierung oder Vorwegnahme der Stimmung unter den Besatzungen wie auch der Umstände einzelner Ereignisse" heraus, die nicht, wie im Roman angegeben, gegen Ende 1941, "sondern nach der verlustreichen Wende im Atlantikkrieg nach 1942/43 anzusetzen" seien.

In erster Linie nutzt Buchheim die meist moralisch und geschichtspolitisch aufgeladene Diskussion um einen Dönitz-Befehl vom September 1942. Damals hatte der Befehlshaber der U-Boote seinen Kommandanten verboten, feindliche Schiffsbesatzungen aufzunehmen.

Im Nürnberger Prozeß wollten die angelsächsischen Ankläger Karl Dönitz im wahrsten Sinne des Wortes einen Strick daraus drehen, da er mit diesem Befehl kriegsverbrecherisch gehandelt habe. Dönitz' Anweisung resultierte jedoch unmittelbar aus der "Lanconia-Affäre", als ein deutsches U-Boot am 12. September 1942 während der Rettung von Schiffbrüchigen, trotz Kennzeichnung mit der Rot-Kreuz-Flagge und ungeachtet unverschlüsselter Funksprüche, die andere Schiffe zur Beteiligung an der Bergungsaktion aufforderten, von einem US-Bomber angegriffen wurde. Danach verbot Dönitz, um der Sicherheit seiner Besatzungen willen, derartig ritterlich-humanitäre Hilfsleistungen.

Buchheim datiert nicht nur diesen Befehl vor. In zwei Schlüsselszenen des Romans, bei der Begegnung mit den Schiffbrüchigen eines von U-96 versenkten Tankers und bei der mißglückten Torpedierung eines spanischen Passagierschiffes, wird dem Leser vermittelt, daß "der Alte", konditioniert durch den von Buchheim im Sinne der Nürnberger Anklage gedeuteten Dönitz-Befehl, zur "Vernichtung" hilfloser Schiffbrüchiger bereit gewesen sei. In der für Wolfgang Petersens "Boot" erarbeiteten szenischen Adaption des Romans werden diese Passagen entsprechend zugespitzt. So entsteht für ein Millionenpublikum lange vor der "Wehrmacht-Ausstellung" der Eindruck vom notorisch kriegsverbrecherischen Treiben deutscher Soldaten. Dabei hätte es noch wesentlich schlimmer kommen können, wie Stanzel berichtet. Wollte Buchheim mit nur "angedachten Greuelszenarien", die das Bild vom "bösen Deutschen" bedienten, die Erfolgs-chancen seines Romans verbessern, hatte die US-Produktionsfirma Pressman, die bei Petersen zunächst mit im "Boot" war, gleich Nägel mit Köpfen machen wollen.

Die US-Version des Filmskripts fügte ein, daß amerikanische Überlebende eines versenkten Schiffes von der Besatzung des "Alten" in ihren Rettungsbooten massakriert werden. Über diese Änderung konnten sich Petersens Bavaria und Pressman jedoch nicht einigen, zumal Buchheim zur Zivilcourage zurückfand und seine Zustimmung verweigerte. Daher stieg Pressman Productions aus, und die Bavaria gab ein eigenes Drehbuch in Auftrag. 


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