© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/06 06. Oktober 2006

Das Gegenteil bewirkt
Erstarkte Warlords führen den Afghanistan-Einsatz ad absurdum
Karl Feldmeyer

Vor wenigen Tagen hat der Bundestag zum vierten Mal das Mandat für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan um ein Jahr verlängert. Dort hat sich die Lage in den letzten zwölf Monaten offenbar dramatisch verschlechtert. Der deutsche Botschafter in Kabul, Hans-Ulrich Seidt wies den Auswärtigen Ausschuß des Bundestages darauf hin, daß es in dem Land in den nächsten Monaten zu einer Katastrophe kommen könne, wenn die Sicherheitskonzepte nicht angepaßt würden. Was das konkret heißt, ließ der Botschafter offen, aber man kann es nach der Rede von Außenminister Steinmeier vor dem Bundestag ahnen. "Afghanistan ist nur dann verloren, wenn wir es aufgeben", sagte er und das heißt, es ist verloren, wenn wir unsere Truppen zurückziehen. Damit wäre ja dann alles klar, oder?

Bevor wir den Schlußfolgerungen der Bundesregierung zu Afghanistan zustimmen, sollten wir den Sachverhalt, um den es geht, rekapitulieren. Vor genau fünf Jahren beschloß die deutsche Regierung ebenso wie die französische, die britische, die türkische und andere, in das von den Taliban befreite Kabul Soldaten zu schicken. Sie sollten zum einen zur Sicherheit der gerade erst eingesetzten Regierung Karsai beitragen und bis zur Abhaltung der Präsidenten- und Parlamentswahl für die nötige Stabilität sorgen; allerdings nur in Kabul. Diese Selbstbeschränkung wurde nicht alt. Berlin kam vielmehr dem Drängen der Amerikaner nach, den Einsatz auszuweiten und im Norden des Landes ein PRT, ein Provisional Reconstruction Team, zu übernehmen. Seither wurde das Engagement abermals ausgeweitet. Auch mußte die Bundeswehr hinnehmen, daß sie auch außerhalb ihres zusätzlich übernommenen Verantwortungsbereichs im Norden auch in anderen Regionen eingesetzt werden kann. Die Obergrenze des Kontingents wurde dabei auf 3.000 Mann angehoben. Auch andere Nato-Staaten haben ihre Kontingente für die ISAF-Mission, die seit 2003 unter dem Kommando der Nato steht, aufgestockt. Die Allianz verfügt dort inzwischen über 30.000 Mann. Zu ihnen kommen weitere 10.000 Mann der unter amerikanischem Kommando stehenden Operation "Enduring Freedom". Sie soll im Osten des Landes die Taliban- und al-Qaida-Verbände vernichten. Daß diese Operation auch im fünften Jahr noch nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnte, gibt um so mehr zu denken, als sich der Terror der Fundamentalisten inzwischen auch auf andere Teile des Landes auszubreiten begonnen hat.

Daraus schließt die Nato allem Anschein nach, daß die derzeit in Afghanistan eingesetzten Kräfte verstärkt werden müssen. Was sonst könnte Botschafter Seidt gemeint haben, als er sagte, die Sicherheitskonzepte müßten "angepaßt" werden? Es ist nicht schwer, den Kern dieser Botschaft zu entschlüsseln. Nachdem die Nato 2003 die ISAF-Mission übernommen hatte, wollte sie ein Netz von 21 PRTs über das Land legen und es durch Stützpunkte mit hochmobilen Einsatztruppen absichern. Schon dieser Plan, der aus Kostengründen nicht verwirklicht wurde, war eine "abgespeckte" Version dessen, was die Nato eigentlich für erforderlich hielt - und hält, um Afghanistan kontrollieren zu können: 80.000 Mann. Auf politischer Ebene war niemand bereit, das ernsthaft in Betracht zu ziehen. Die Zahl von 80.000 Mann ist aber nicht mehr sehr weit von dem Umfang der sowjetischen Truppen entfernt, die Breschnew nach Afghanistan schickte. Daß sie scheiterten, ist unbestritten.

Dabei war die Aufgabe, die ihnen gestellt worden war, derjenigen nicht unähnlich, die die Nato-Soldaten nun bewältigen sollen. Beide sollten die von außen eingesetzte Regierung schützen und es ihr ermöglichen, das Land zu kontrollieren, zu modernisieren und damit im westlichen Sinne zu verändern. Genau daran ist das sowjetische Engagement aber gescheitert, denn dies hätte eine Veränderung der archaisch-fundamentalistischen Prägung des Landes und seiner Menschen bedeutet. Ohne die Bereitschaft zumindest eines erheblichen Teils der Afghanen, sich auf westliche Vorstellungen einzulassen, geht das nicht - und genau sie konnte bislang niemand wecken. Ihre Verweigerung läßt der afghanischen Bevölkerung die westlichen Soldaten um so mehr als Feind erscheinen, je länger sie im Land bleiben und je stärker der westliche Veränderungsdruck empfunden wird. Das kommt den Taliban zugute. Dem Einsatz der Nato fehlt somit ein Ziel, das Truppen erreichen können. Fünf Jahre westlicher Militärpräsenz haben weder die Macht der Zentralregierung mehren noch diejenige der Warlords und Stammesoberen mindern können. Durch sie wurde weder die Korruption verringert noch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorangebracht. Der einzige Aufschwung, der zu verzeichnen ist, ist der der Mohn- und damit der Rauschgiftproduktion. Daß ihre Bekämpfung vor allem in die Hände der afghanischen Armee gelegt wurde, sagt alles darüber, wie ernsthaft der Wille ist, gegen sie vorzugehen. Diese Resignation aber stärkt genau diejenigen, die das Problem darstellen, das die Nato angeblich überwinden will: die Warlords. So wird nicht nur der Einsatz der Bundeswehr, sondern der der Nato ad absurdum geführt. Deshalb muß sie die nötigen Konsequenzen daraus auch gemeinsam ziehen.

 

Karl Feldmeyer, ehemaliger Parlamentskorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", erhielt am 12. September den Theodor-Wolff-Preis 2006 für sein Lebenswerk.


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