© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/06 29. September 2006

"Der zweite Pudel der USA"
Frankreich: Der USA-Besuch von Innenminister Nicolas Sarkozy hat dessen Präsidentschaftsambitionen wahrscheinlich mehr geschadet als genützt
Alain de BenoisT

Nicolas Sarkozy ist ein leidenschaftlicher Läufer. Er läuft seit langem, er läuft immer schneller. Ziellinie ist ganz offensichtlich die Präsidentschaftswahl im kommenden Frühjahr. Zuletzt hat seine Route ihn anläßlich des fünfjährigen Jahrestags der Ereignisse vom 11. September 2001 in die USA geführt.

Der französische Innenminister absolvierte dort einen "Staatsbesuch", in dessen Verlauf er nicht nur von Außenministerin Condoleezza Rice, sondern auch von George W. Bush empfangen wurde - eine Ehre, die der US-Präsident sonst nur seinen Amtskollegen gewährt. Vor den Mitgliedern der French-American Foundation fuhr Sarkozy eine regelrechte Verbalattacke gegen die Politik seines eigenen Staates, in der er die "Arroganz" und die "sterile Großsprecherei" kritisierte, die Frankreich während des Irak-Kriegs gegenüber den USA an den Tag gelegt habe. Unter Charles de Gaulle hätte er ob solcherlei Reden bei seiner Rückkehr nach Paris feststellen müssen, daß er nicht mehr der Regierung angehörte. Als großer Bewunderer der amerikanischen "Meritokratie" nutzte er seinen Aufenthalt in New York dazu, im Central Park zu joggen, die NYC-Feuerwehrmänner zu ihrem Mut zu beglückwünschen, an einem Gottesdienst teilzunehmen und Vertreter der jüdischen Gemeinde zu treffen.

"Sarkozy hat eine Rhetorik benutzt, wie man sie von einem Vertreter der Bush-Regierung erwarten würde", schrieb die Washington Post. "Die Amerikaner erwarten viel von Nicolas Sarkozy", sagte Ex-Bush-Berater Richard Perle bereits vor einem Jahr. William Kristols Weekly Standard erteilte ihm ebenfalls seinen Segen, und so erweist sich Sarkozy als klarer Wunschkandidat der US-Neokonservativen. Das ist auch kein Wunder, schließlich scheint er sich in Amerika zu Hause zu fühlen. "In mancher Hinsicht", befand die New York Times, sei er sogar "der am wenigsten französische Politiker Frankreichs. Ganz anders als der ideale Republikaner, der religiöse und ethnische Unterschiede ignoriert, spricht Sarkozy oft über seinen ungarischen Vater, seinen ausländischen Namen und darüber, daß einer seiner Großväter Jude war. Er glaubt an den amerikanischen Traum". Bereits bei einem Gastvortrag an der New Yorker Columbia-Universität 2004 gestand er seinem Publikum, daß er sich in seinem eigenen Land oft fremd fühle und stolz auf den Spitznamen "Sarkozy, der Amerikaner" sei: "Der Traum französischer Familien ist, daß ihre Kinder an amerikanischen Universitäten studieren. Wenn wir ins Kino gehen, dann um amerikanische Filme zu sehen! Wenn wir unsere Radios einschalten, dann um amerikanische Musik zu hören!"

Manche aus Sarkozys Umfeld werten solche Aussagen lediglich als "taktische Positionierung". Freilich ist bemerkenswert, daß er eine solche Positionierung wählt - in einem Staat, wo bislang noch kein Präsidentschaftskandidat es für nötig hielt, zuvor das Einverständnis des Weißen Hauses einzuholen. Deswegen haben diese jüngsten Äußerungen von der Rechten bis zur Linken heftige Wellen geschlagen. "Frankreich kann keinen Mann als Präsidenten haben, der nach Tony Blair der zweite Pudel der USA wäre!" meinte etwa der sozialistische Ex-Wirtschaftsminister Laurent Fabius.

Auch die designierte sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal übte scharfe Kritik an Sarkozys Auftreten in den USA. "Meine Außenpolitik wird nicht darin bestehen, vor George W. Bush in die Knie zu gehen", versprach sie. "Das Bündnis mit den Amerikanern ist eine Sache. Das ist etwas anderes, als mit Bush auf eine Linie zu gehen." Ihr Parteichef und Lebensgefährte François Hollande prangerte zudem eine "Ämtervermischung" an: UMP-Chef Sarkozy mache "auf Staatskosten Wahlkampf mit seinem Innenminister als Fahnenträger". Dieser ließ sich - weder in der einen noch der anderen Funktion - von derlei Anfechtungen keineswegs beirren, sondern erklärte unverfroren: "Wer sich mit mir anlegt, legt sich mit der öffentlichen Meinung an!"

Der 51jährige Nicolas Pál Stéphane Sárközy de Nagy-Bocsa, Sohn einer Griechin und eines emigrierten ungarischen Adligen, ist seit November 2004 Vorsitzender der bürgerlichen Regierungspartei UMP und seit Mai 2002 Innenminister: ein Schlüsselposten, der ihm erlaubt, seine Gegner überwachen zu lassen, der ihn aber auch in Fragen der Einwanderung und inneren Sicherheit an die vorderste Front stellt.

Auf diesem Gebiet hat er mehr Entschlossenheit an den Tag gelegt als seine Vorgänger. Erstmals seit den 1980er Jahren hat die Polizei die Möglichkeit, eine bestimmte Anzahl Illegaler auszuweisen, die in Frankreich untergetaucht sind. Die Philosophie des Ministers folgt einem einfachen Grundsatz: alles zu tun, um legalen Einwanderern zu helfen, den Illegalen aber keine Handbreit nachzugeben. Als Befürworter einer Quotenregelung hat sich Sarkozy für eine "positive Diskriminierung" ausgesprochen sowie - entgegen der traditionellen französischen Politik - für ein multikulturelles Gesellschaftsmodell. Auch der französische Islamrat (CFCM) ist Sarkozys Schöpfung.

Tatsächlich sind Sarkozys Ideen repräsentativ für eine neue Tendenz, die in Europa zu beobachten ist und die Silvio Berlusconi wohl am besten verkörperte: eine gewisse Härte in der Einwanderungspolitik - selbst auf die Gefahr hin, als "Ausländerfeind" gebrandmarkt zu werden -, ein vorbehaltloser Glauben an den Wirtschaftsliberalismus, eine objektiv pro-amerikanische Ausrichtung, eine Vorliebe für einen populistischen oder demagogischen Stil und eine autoritäre Politik. In seiner jüngsten Monographie, die den Untertitel trägt "Enquête sur un homme de pouvoir" (Untersuchung zu einem Machtmenschen), schreibt Frédéric Charpier: "Nicolas Sarkozy wird von einem unersättlichen Ehrgeiz getrieben und stellt eine felsenfeste Überzeugung bezüglich seiner persönlichen Bestimmung zur Schau."

Sein Ehrgeiz ist um so offensichtlicher, als er ihn niemals verborgen hat. Doch handelt es sich nicht bloß um nackten Ehrgeiz, sondern dahinter steht eine genaue Vorstellung davon, wie Sarkozy die französische Gesellschaft verändern will. Kurz gesagt, will er jenen "Sonderweg" beenden, den Frankreich seit der Ära de Gaulle in Europa gegangen ist. In Zeiten der Globalisierung will er das Land "normalisieren".

Bislang hat ihn nichts ernsthaft schwächen können: weder seine Rivalität mit Premierminister Dominique de Villepin noch seine Eheprobleme, die zur öffentlichen Farce geworden sind, seit seine Frau Cécilia ihn im Sommer 2005 für Richard Attias, den Besitzer der Werbeagentur Publicis, verließ; weder die Skandale, in die er angeblich verwickelt sein soll (Clearstream-Affäre), noch die immer aggressivere Kritik, der er sich seitens der Linken ausgesetzt sieht.

Umfragen zufolge hat Sarkozy gute Chancen, zum Staatsoberhaupt gewählt zu werden. Die wurden freilich auch Edouard Balladur zugeschrieben, auf dessen Seite Sarkozy sich bei den Präsidentschaftswahlen 1995 schlug und der dann doch Jacques Chirac unterlag.

 

Alain de Benoist, französischer Philosoph, ist Herausgeber von "Eléments" sowie Chefredakteur von "Nouvelle Ecole" und "Krisis".


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