© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/06 22. September 2006

Botox auf Krankenschein
So jung blieb noch nie ein überaltertes Volk: Was die Deutschen alles tun, um nicht alt zu werden
Ellen Kositza

Altern ist definitiv out. Daß Kinder den Menschen jung halten, ist eine überlebte Weisheit. Deren Aufzucht kostet zunächst - nicht bloß Lebensjahre, sondern zumeist auch die juvenile Attraktivität. Gebärverhalten und Umgang mit dem Alter stehen nicht nur in demographischem Zusammenhang.

Während des vitalen Babybooms der Wirtschaftswunderjahre stellte das Altwerden noch kaum ein grundsätzlich behandlungsbedürftiges Problem dar, weder ein reales noch ein medial produziertes. Seniorengruppen trafen sich zur Gymnastik nach Tonbändern, die Peter Frankenfeld besprochen hatte, reihum feierte man Goldene Hochzeit, die Gesundheitsfürsorge schien gesichert. Nicht, daß Weisheit als notwendige Konsequenz des Alters empfunden wurde, zumindest aber ergab dieses Begriffspaar keine notwendige Dissonanz.

Alte Männer galten als solide und wurden an die Regierung gewählt. Die ersten jeansbehosten Rentner im sonntäglichen Gottesdienst wurden in den Regierungsjahren des jungen Helmut Kohl gesichtet, gleichzeitig startete auch das Weibsvolk mit heftigen Bemühungen um eine Erhaltung der Jugendlichkeit. Der Kult um die Leibesmitte: Flach sollte sie bleiben, straff das Darunter und Darüber! Es begann die im Vergleich zum Seniorenturnen recht selbstbezogene, wenn auch im Hordenverband ausgeübte Aerobic-Welle der achtziger Jahre, die heute abgeflaut ist und sich im Walking-Trend verläuft. Den flotten Walkern mit und ohne Stökke begegnet man gelegentlich im Verbund, oft pärchenweise, meist allein. Der Trend innerhalb der Verjüngungsmaschinerie ist klar: Er weist ins Anstrengungslose und Individualisierte.

Was Ihr der Chirurg, ist Ihm die jüngere Geliebte

Die heute gültigen Varianten der Anti-Aging-Bemühungen verlaufen dabei geschlechtlich getrennt: Frau legt sich auf die Chirurgenliege, Mann einer jüngeren Geliebten zu Füßen. Grundbedingung für beides: Geld sollte vorhanden sein. Klar, auch Männer lassen sich zunehmend verschönern, heißt es - aber hier dürfte kaum die gleichaltrige Ehegattin, sondern die jüngere Damenwelt anvisiertes Ziel von Operation oder Spritze sein. (Ehrlichkeit dürfte dabei im übrigen kaum zu erwarten sein: Nur zwei Prozent der plastisch Korrigierten geben an, erhöhte Attraktivität für das andere Geschlecht sei der Motivationsgrund für die Maßnahme gewesen.) Frauen mit deutlich jüngeren Gespielen dagegen mögen ab und an für Boulevardblätter eine Trendspalte abgeben, doch nach den einschlägigen Lisa Fitz, Nina Hagen und Demi Moore fällt eine Fortführung der Reihe bereits schwer.

Mag sein, daß die Sehnsucht des alternden Mannes nach Frischfleisch - ein gängiges Schelmenstück, hier geistige Interessen in den Vordergrund zu stellen - eine Art anthropologische Grundkonstante darstellt. Heutige Bestsellerautoren wie Philipp Roth und Gabriel Garcia Marquez mit ihren Beschreibungen obsessiver erotischer Beziehungen zwischen männlichem Greis und gerade erblühender Frau folgen ja nur den Pfaden, die nach Nabokovs Lolita längst ausgetreten sind. Neu ist die öffentliche Moral, die solches Verhalten durchwinkt oder gar goutiert.

Der Verjüngungsversuch durch eine neue, deutlich jüngere Frau geschieht unter paradoxen Vorzeichen. Der Feminismus, so heißt es triumphierend oder klagend, jedenfalls mit einiger Berechtigung, sei längst institutionalisiert. Nahezu sämtliche Forderungen der Frauenbewegung finden sich heute in Gesetzen und der Lebenswirklichkeit erfüllt. Mädchen werden geschlechtsneutral erzogen, junge Frauen verfügen selbstbestimmt über Sexualität und Lebenslauf, ältere werden gar Bundeskanzlerin. Bis heute deckt sich das, was unter Emanzipation gerechnet werden kann, mit dem Forderungskatalog der Progressiven. Zugleich sind es aber in aller Regel ebenjene habituellen Frauenversteher, die den partnerschaftlichen Tausch Alt gegen Jung praktizieren. Freilich, als Tritt ins Gesicht der älteren Ex will dies keiner der Betroffenen verstanden wissen. "Wo die Liebe hinfällt ...", munkelt augenzwinkernd die Bild-Zeitung und betet das Volk nach.

Aus dem Showbusiness ist der liebestolle Generationendialog auf Kosten der abgelebten Ehefrau bekannt und länger schon gesellschaftsfähig. Der jüngst verblichene Rudi Carrell unterhielt in offenem Bekenntnis neben seiner Ehe eine Dauerbeziehung zu einer Jüngeren, von der er sich nach dem Tod der Gattin jedoch abwandte, um eine wiederum deutlich Jüngere zu ehelichen - die zahlreichen Seitensprünge des Frauenhelden einmal beiseite gelassen. Udo Jürgens, Roberto Blanco, Franz Beckenbauer, Harrison Ford, Michael Douglas - die Namen derer, deren Gespielinnen das Alter der leiblichen Kinder unterschreiten, sind Legion.

Joschka Fischer verjüngte sich von Frau zu Frau

Womöglich ist es müßig zu fragen, ob diese Freiheit der Lebensmoral nun auch in die Klasse der Landesherren eingezogen sei oder ob Politik und ihre Repräsentanten nicht längst Teil der Popwelt geworden sind. Ein (damals) zweifach geschiedener Kanzlerkandidat mochte vor Jahren noch bedenklich erscheinen, seine Verantwortungsbereitschaft fraglich - heute werden vergnügte Fremd-Knutsch-Fotos eines noch verheirateten Laurenz Meyer, die Trennung eines Friedbert Pflüger von seiner Ehefrau zugunsten einer deutlich Jüngeren, das frohe Händchenhalten eines Christian Wulff (Meldung: der Politiker gehe seine "neue Beziehung und das damit verbundene Ende seiner Ehe offensiv an") mit einer Frau, die eingeschult wurde, als Wulff mit seiner soeben verlassenen Gattin zusammenzog, als tolerabler Ausdruck einer vitalen Lebensführung angesehen. Was einst das Schamgefühl verhindert oder wenigstens verhüllt hätte, wird heute als Triumph gewertet.

Wohl kein Politiker hat dies beispielhafter vollzogen als Joschka Fischer, jenes fleischgewordene Symbol der feministischsten Partei, die je in Regierungsverantwortung stand. Nicht einmal aus der globalen Glamourszene ist eine derartig regelhafte Verjüngungsmanie vorzeigbar: Fischers erste Ehefrau war gleichaltrig (mit 18 Jahren auch kaum schlagbar), bereits von der zweiten Gattin trennte ihn der Unterschied einer Generation. Nach der Geburt zweier Kinder wandte er, bereits 40jährig, sich einer 19jährigen zu, um dann nach abermaligem Scheitern der Ehe in den neunziger Jahren sein viertes Ja-Wort einer Journalistin zu geben, die ebenfalls altersmäßig seine Tochter hätte sein können. Mit der aktuellen Ehefrau hat sich der Altersunterschied zwischen Herr und Weiblein nun auf 28 Jahre vergrößert. Mag die herrschaftliche Berliner Villa als Wohnsitz der derzeitigen Familie Fischer nun auch prächtig hergerichtet sein - Männerrechtler mögen klären, wie eine solche Investition bei vier alimentberechtigten Ex-Frauen möglich ist -, einer Garantie auf Letztgültigkeit dieser Ehe widerspricht das Gesetz der Folge. Demnach könnte eine sechste Ehefrau Fischers soeben die Abiprüfungen absolviert haben. Auf Anstand und Würde mag in solchen Fällen keiner mehr pochen, derartige Interventionen sind unpopulär. Da dürfte die Verabreichung von Botox auf Krankenschein für Gattinen bei altersbedingter Indikation noch wahrscheinlicher sein.


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