© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/06 22. September 2006

Die unerforschte Wirkkraft der neuen Zwerge
Gesundheitspolitik: Das Umweltbundesamt untersucht Chancen und Risiken der Nanotechnologie
Michael Howanietz

Unbestritten scheint, daß die sich rasant entwickelnde Nanotechnologie manche Entlastung für Mensch und Umwelt, für sich leerende Staatskassen und schrittweise erschöpfte Ressourcen bringt. Wie weit mit dem verstärkten Einsatz der neuen Technologie auch Umweltgefahren und Gesundheitsrisiken verbunden sind, ist Gegenstand derzeit anlaufender Erörterungen.

Effizientere Nutzung von Rohstoffen und Energie

Was ist und will die Nanotechnologie? Der erstmals 1974 in Japan gebrauchte Begriff (griechisch nánnos = Zwerg) geht auf Forschungen der späten 1950er Jahre zurück. Die als "dritte industrielle Revolution" bezeichnete Technologie versteht sich als Fortsetzung der Mikrotechnik. Sie kommt in der Cluster- und Oberflächenphysik (etwa: selbstreinigende Beschichtungen/"Lotuseffekt"), bei Dämmaterialien, besonders leistungsfähigen Batterien und Brennstoffzellen, in der Halbleitertechnik und Teilbereichen des Maschinenbaus zur Anwendung.

Sie bemißt die von ihr bereitgestellten Innovationen nach dem Nanometer, das einem Milliardstel Meter (10-9 m) oder dem Fünfzigtausendstel eines menschlichen Haares (Durchmesser) entspricht. Nanomaterialien werden auf chemischem Wege oder mit mechanischen Methoden hergestellt. Künstlich erzeugte Nanopartikel und nanoskalige Systemkomponenten besitzen Eigenschaften, die sich in der Produktentwicklung von Automobilindustrie, Maschinenbau, Chemie und Umwelttechnologie bewähren.

Nachweisbare Vorzüge der rasch den Markt erobernden nanotechnischen Produkte sind die effizientere Nutzung von Rohstoffen und Energie, was zur Herabsenkung von Emissionen und verringertem Energieverbrauch führt. Zudem, und dies bleibt der vorrangige Gradmesser politischer Duldung, schafft die neue Technologie Arbeitsplätze. Alleine in Deutschland beschäftigen 550 in ihrem Bereich tätige Unternehmen 50.000 Menschen.

Aber, und diese Frage wird mit ihrer Verspätung entsprechender Berechtigung aufgeworfen: Arbeiten die revolutionären Heinzelmännchen tatsächlich nur zum Wohle von Mensch und Umwelt? Erste Fälle von Reinigungssprühdosen, die wegen erwiesener Gesundheitsgefährdungen aus dem Handel genommen werden mußten, sind bekannt. Ursache ihrer unerwünschten Nebenwirkungen dürfte eine massive Störung des Sauerstoff- und Feuchtigkeitsaustausches in der Lunge sein - doch während die ökologischen Innovationspotentiale der neuen Technik ausreichend erörtert wurden, steckt die Erforschung möglicher wie bereits evidenter Anwendungsrisiken noch in den Kinderschuhen.

Diesen unbefriedigenden Status quo zu ändern, hat sich eine Initiative des Umweltbundesamtes (UBA) zum Ziel gesetzt. Die Hinterleuchtung sämtlicher umweltrelevanter Aspekte der Nanotechnologie ist unabdingbare Voraussetzung, um gefährliche Stoffe alsbald aus dem Verkehr ziehen zu können. Die Zeit drängt, schließlich sollen Nanopartikel demnächst in der Medizin, etwa in Kontrastmitteln für bildgebende Verfahren oder als Wirkstoffdepots unterschiedlichster Medikamente zum Einsatz kommen.

Vorkehrungen gegen mißbräuchliche Anwendung

Das UBA hat freilich ein weiteres Interesse an der Erhellung unklarer Zusammenhänge und möglicher Vorbehalte. Angesichts zur Neige gehender Rohstoffe hat man allen Grund, die ressourcenschonende Technik zu fördern - sobald die Zweifel an möglichen Negativeffekten eines grundsätzlich umweltfreundlichen Neugestaltungspotentials ausgeräumt wurden.

Die Differenziertheit der eingesetzten Materialien sowie die Vielzahl ihrer Anwendungsmöglichkeiten erschweren die Beurteilung und bedingen, daß der nunmehr in Gang gesetzte Klärungsprozeß nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein kann. Der erforderliche Forschungsaufwand aber ist unvermeidlich. Wissensdefizite erzeugen Informationsbedarf, und dieser kann nur durch die klare Identifizierung von Vorzügen einerseits und zuverlässige Vorkehrungen gegen mißbräuchliche Anwendung und resultierende Selbst- oder Fremdgefährdung andererseits befriedigt werden.

Erst nach Abschluß dieses Nachweisverfahrens wird beurteilbar sein, ob die als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts verheißene Nanotechnik ihren Vorschußlorbeeren gerecht werden kann. Umwelt und Industrie jedenfalls hätten großen Bedarf an der erhöhten Ressourcen- und Energieeffizienz.

Was das legitime Sicherheitsbedürfnis von Verbrauchern und Anwendern anlangt, bleibt festzustellen: Im Gegensatz zu ihren politischen Entsprechungen könnten und sollten industrielle Revolutionen künftig der vernunftgebotenen Chronologie folgen: erst die Abwägung möglicher Risiken, dann, so verantwortbar, der Umsturz.

Das 22seitige UBA-Hintergrundpapier "Nanotechnik: Chancen und Risiken für Mensch und Umwelt" findet sich im Internet unter www.umweltbundesamt.de/uba-info-presse/hintergrund/nanotechnik.pdf


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