© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/06 15. September 2006

Sinnenfreude, Sinnenqual
Kongenial: Bernd Eichinger und Tom Tykwer wagten sich an den Bestseller "Das Parfum"
Ellen Kositza

Die Rede von "reiner Sinnenfreude" ist heute eine fast anachronistische. Allseitige Reizüberflutung macht es dem Ästheten, dem Puristen schwer, er muß sich schon in reservatsähnliche Sonderzonen begeben, um puren Genüssen zu frönen. Das geht dem Augenmenschen ähnlich wie dem Musikliebhaber - vom olfaktorisch Sensiblen ganz zu schweigen. Es ist deren Schicksal im Zeitalter der beliebigen Reproduzier- und Verfälschbarkeit jedes Augenblicks, jedes Tons und jedes Geruches, sich der Zumutung durch Masse und Tand zu ergeben: Schmierer, Lautsprecher und Geschmacksverstärker, wohin man blickt, lauscht und schmeckt.

Um beim Geruchssinn zu bleiben: Minderbegabten auf diesem Gebiet der wohl flüchtigsten aller Sinneseindrücke mag entgehen, welchen Freuden und Qualen feine Nasen sich ausgesetzt fühlen können. Welch Affront die synthetische Narzisse in angesagten Damenparfüms oder die weibischen Fehlkompositionen vieler Herrendeodorants und Rasierwässer bedeuten können! Der intendierte Wohlgeruch wird hier zur Belästigung.

Umgekehrt sind Düfte in der Lage, uns positiv zu beeinflussen. Die Aromatherapie ist ein populärer Zweig der Wellnessbranche: Entspannung bietet der Lavendel, Zitrone sorgt für gute Laune, Rose für puren Genuß. Keine Zeit hat sich stärker beduftet als unsere, duftende Klosetts, parfümierte Schreibutensilien, aromatisierte Kaffees haben unseren Nasen längst das Differenzierungsvermögen genommen.

Nicht die Geschichte eines Genießers hat Patrick Süskind 1985 - damals 36jährig - mit seinem Roman "Das Parfum" aufgeschrieben, sondern die "eines Mörders", wie der Untertitel lautet: Das düstere Leben des Jean-Baptiste Grenouille von seiner Geburt als geruchsloser Niemand bis zu seiner Auflösung als heilbringender Übermensch. Wir schreiben 1738, es ist Hochsommer. Nach der Erfahrung von vier Totgeburten hatte seine Mutter auch ihn liegen gelassen, dort, wo sie während der Arbeit auf dem Pariser Fischmarkt unbeachtet niedergekommen war, "unter einem Schwarm von Fliegen und zwischen Gekröse und abgeschlagenen Fischköpfen." Als Neunjähriger wird der Waise in eine Gerberwerkstatt vermittelt. Auch die Mißhandlungen durch den Meister überlebt er mit narbenübersätem Leib.

Seine Karriere als Supernase beginnt, als ihn der einst erfolgreiche, doch längst abgehalfterte Parfumeur Baldini in seine Dienste nimmt. Hier wie auch später in Grasse kreiert Grenouille Parfums von Weltruhm, ohne davon zu profitieren. Sein Ziel liegt jenseits der Duftmoden: das Mischen und Konservieren des perfekten Menschenduftes, bestimmt zum eigenen Gebrauch. Dafür geht Grenouille, jedes menschlichen Unrechtsbewußtseins abhold, über Leichen, die Leichen der schönen Jungfrauen der Stadt Grasse ...

Rund 15 Millionen Mal ist dieses Meisterwerk verkauft worden, es wurde in 45 Sprachen übersetzt und sollte mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht werden. Sollte - der Autor verweigerte die Annahme der Preise, scheute Interviews und sperrte sich 16 Jahre lang gegen die Veräußerung der Rechte seines Romans zwecks Verfilmung. Es heißt, Süskind habe allein Stanley Kubrick für einen würdigen Regisseur erachtet, der aber habe die literarische Vorlage für unverfilmbar gehalten. Für rund zehn Millionen Dollar, so wird gemunkelt, durfte nun Bernd Eichinger sich darin versuchen, den Bestseller auf die Leinwand zu bannen.

Mit opulenter Kostüm- und Fassadenausstattung und einem maßvollen Staraufgebot - Tom Tykwer als Regisseur, Dustin Hoffman, Alan Rickman und Corinna Harfouch in Hauptrollen, den Berlinern Philharmoniker als Ausführende von Tykwers Kompositionen - ist "Das Parfum" zum bis dato teuersten deutschen Film geworden. Mit 50 Millionen Euro wird das Budget beziffert. Die bisherigen Kritiken sind mäßig. Sie zeugen im Grunde von Banausentum. Dies ist ein Film für Liebhaber oder, euphorisch gesprochen, für alle und keinen. Man rieche ja nichts, schreiben jene Augenmenschen und erweisen sich damit als synästhetisch unbegabt. (Tykwer und Eichinger pflegen auf diesen Vorwurf zu antworten, auch das Buch habe ja nicht gerochen.)

Tatsächlich bietet sich der Film als wahres Bukett der Gerüche dar. Nicht nur, daß einzelne Filmszenen aufs Genaueste dem entsprechen, was sich bei der Lektüre detailliert zur Verbildlichung aufdrängte. Ein Ignorant, dem hier nicht wenigstens Ahnungen von Wohl- oder Mißgeruch entgegenwehen. Seien es die Lavendelfelder um Grasse, der Fischmarkt, das sommersprossige Dekolleté von Grenouilles erstem Mordopfer (betörend: Karoline Herfurth) oder, überdeutlich, die saftfleischigen Mirabellen, die sie zerteilt.

Tykwer und seine Drehbuchkollegen (Eichinger sowie Andrew Birkin, der unter anderem "Der Name der Rose" filmreif schrieb) arbeiten reichlich werktreu, was durch die Linearität der Romanvorlage geboten erscheint. Allein Grenouilles asketische Auszeit als Höhlenmensch auf einem Berggipfel, die im Buch sieben Jahre andauert, wird hier auf Monate geschrumpft, ebenfalls fällt die Einführung des Verkommenen in bürgerliche Kreise weg. Das dürfte simpler Kürzungsnot zum Opfer gefallen sein - Überlänge erreicht der Film ohnehin.

Hervorragend ist dem 41jährigen Regisseur jener Schlußteil gelungen, der im Buch als beinahe surrealistische Zäsur eher irritiert. Es ist jene Szene, wo sich ganz Grasse auf dem Marktplatz versammelt hat, um voll Genugtuung der Hinrichtung des Mörders beizuwohnen. Als Grenouille sich aber mit jenem vollkommenen Duft besprenkelt, können sämtliche Anwesenden nicht anders, als ergriffen die Arme zu recken, um dann in haltlose Heilsrufe einzustimmen und sich schließlich in Raserei die Kleider vom Leib zu reißen.

Tykwer inszeniert den Wahn der Massen furios, ja, er scheint mit seinen Bildern eines frenetisch jubelnden, sich schließlich verzückt der Ekstase hingebenden Volkes jedweden Massenrausch glaubhaft zu machen. Man mag ungern von Kongenialität sprechen, wo der Maßstab derart hoch hängt. Hier könnte man es wagen. 

Foto: Baldini (Dustin Hoffman) weiht seinen Schützling Jean-Baptiste Grenouille (Ben Wishaw) in die Geheimnisse der Parfumherstellung ein


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