© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/06 15. September 2006

Wo Alte nicht abgeschoben werden
Arbeitsmarktpolitik: In Finnland liegt die Erwerbsquote der 55- bis 64jährigen weit über dem EU-Durchschnitt
Anni Mursula

Wenn ich jetzt meine Arbeit verlieren würde, hätte ich wohl keine Schwierigkeiten, eine neue Stelle zu finden", sagte der 53jährige finnische Journalist Tapani Talvitie der JUNGEN FREIHEIT. "In Finnland muß man sich zwar in jedem Alter in seinem Beruf weiterbilden und auf dem laufenden halten, aber richtige Alterdiskriminierung gibt es hierzulande im Erwerbsleben nicht - zumindest in den meisten Branchen nicht."

Daß Arbeitsuchende auch noch mit über fünfzig eine Anstellung finden, könnte Finnland zum Vorbild für ganz Europa machen. Denn die Erwerbsquote der 55- bis 64jährigen liegt in dem nordischen Land heute mit 55 Prozent gut zehn Prozent über dem europäischen Durchschnitt.

Neue Arbeitsplatzgestaltung und Weiterbildungskurse

Das war allerdings nicht immer so: Mitte der neunziger Jahre lag die Arbeitslosenrate älterer Menschen noch bei über 20 Prozent. Im vergangenen Jahr betrug sie lediglich 6,8 Prozent. Ursache für die katastrophalen Arbeitslosenzahlen in den neunziger Jahren war eine der härtesten Rezessionen, die ein europäisches Land je erlebt hat. Der Zusammenbruch der Sowjetunion stürzte auch Finnland in eine schwere Wirtschaftskrise. Hinzu kam ein grundlegender Strukturwandel von einem rein Rohstoff produzierenden und verarbeitenden Land hin zu einem Technologiestandort.

Auf diese Entwicklungen reagierte die finnische Regierung zwischen 1998 und 2002 unter anderem mit einer konzentrierten Aktion zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen älterer Menschen. Ein Grund war der nahende Renteneintritt der "Großen Jahrgänge" der Nachkriegszeit und der darauf prognostizierte Arbeitskräftemangel. Mittels spezifischer Nachfolgeprogramme der einzelnen Fachministerien entwickelte sich daraus eine umfassende nationale Strategie zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen für Ältere. Ziel war es, diese Menschen zumindest ein paar Jahre länger im Erwerbsleben zu halten.

Grundlage für das Programm war die alters- und alternsgerechte Gestaltung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Dabei wurde der Fokus auf Qualifizierung und angemessene Arbeitsorganisation gelegt. Demzufolge wurden Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsorganisation und Weiterbildungsmaßnahmen stärker auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten finnischer Senioren zugeschnitten.

Aber nicht nur das gemeinsame landesweite Programm der Regierung (Ministerium für Soziales und Gesundheit, Bildungsministerium und Arbeitsministerium), Gewerkschaften und Arbeitgeber hat dazu geführt, daß nun deutlich mehr ältere Menschen länger arbeiten als früher. Ein zentraler Bestandteil dieser positiven Entwicklung ist auch die Anfang 2005 in Kraft getretene Rentenreform. Damit will die Regierung mit gezielten Anreizen das Renteneintrittsalter der Arbeitnehmer weiterhin erhöhen. Der Reform basiert auf einem variablen Rentenalter von 63 bis 68 Jahren, wobei Arbeitnehmer finanziell belohnt werden, wenn sie länger im Erwerbsleben bleiben. So steigt der Rentenanspruch zwischen dem 63. und dem 68. Lebensjahr überproportional um 4,5 Prozent pro Jahr. Das Programm und das Anreizsystem der Rentenreform zeigen nun erste Ergebnisse, denn das effektive Rentenalter hat sich seit 1995 um 1,2 auf 59,1 Jahre erhöht.

Ähnliche Erfolge hat es laut der Bertelsmann-Stiftung auch in Dänemark, den Niederlanden, Australien und Neuseeland gegeben. Dennoch sei die finnische Initiative besonders bemerkenswert und wurde deshalb nun mit dem Carl-Bertelsmann-Preis ausgezeichnet. Der mit 150.000 Euro dotierte Preis wird am 14. September in Gütersloh stellvertretend für das Land an den früheren finnischen Ministerpräsident Esko Aho verliehen. Bertelsmann zeichnet jedes Jahr innovative Konzepte und nachahmenswerte Lösungsansätze in gesellschaftlichen Problemfeldern aus. Mit der diesjährigen Auszeichnung will die Stiftung "Wege zur Überwindung der dramatisch niedrigen Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in Deutschland aufzeigen", sagte Vorstandsmitglied Johannes Meier bei der Bekanntgabe des diesjährigen Preisträgers.

Denn in Deutschland ist eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten: Hierzulande sei die Arbeitslosenquote älterer Beschäftigter von 11,7 Prozent im Jahr 1995 auf 12, 7 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen, erklärte die Bertelsmann-Stiftung. Laut ihrer Studie "Standortcheck Deutschland", sind in keiner anderen führenden Industrienation so viele über 50jährige arbeitslos wie in Deutschland.

Überdurchschnittliche Jugendarbeitslosigkeitsquote

Deshalb sehen die Experten der Stiftung für Deutschland "erheblichen Handlungsbedarf". Zwar wachse auch hierzulande die Einsicht, daß weder in der Arbeitswelt noch in der sozialen Sicherung alles beim alten bleiben könne. Dennoch könne man laut der Stiftung nicht sagen, daß "Deutschland mit der Bewältigung der Herausforderungen des demographischen Wandels auf gutem Weg sei".

Für die Deutschen gibt es einen Trost: Auch wenn Finnland in der Beschäftigung von über 50jährigen als Vorbild gelten kann, ist die dortige Jugendarbeitslosigkeitsquote im internationalen Vergleich alarmierend hoch. Zwar konnte das skandinavische Land die Jugendarbeitslosigkeit von 34 Prozent im Jahr 1995 auf 29,5 Prozent im vergangenen Jahr senken, dennoch liegt die Zahl deutlich höher als in Deutschland (13,3 Prozent im Juni 2006).

Foto: Textilverkäuferin in Helsinki: Einfach ein paar Jahre länger arbeiten

Die Studie "Älter werden - Aktiv Bleiben" der Bertelsmann-Stiftung findet sich in Kurzform im Internet: www.bertelsmann-stiftung.de 


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