© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/06 15. September 2006

Liberale Spione helfen den Roten
Schweden: Bei den Reichstagswahlen könnte erneut für linke Mehrheit reichen / Erstmals bürgerliche "Allianz"
Anni Mursula

Wenige Tage vor den Reichstagswahlen in Schweden am 17. September ist der Sieg, mit dem die bürgerliche Opposition fest gerechnet hatte und der laut Umfragen greifbar war, wieder fraglich. Ein Grund dafür sind die Enthüllungen über illegale Computerspionage der oppositionellen Liberalen Volkspartei (FP) im internen Netz der Sozialdemokraten. Der FP-Hacker beschaffte wichtige Informationen unter anderem über Wahlkampfstrategien. Die Liberalen bestätigten vergangene Woche, daß ihre Pressechefin Niki Westerberg und weitere Spitzenfunktionäre - bis hin zu Generalsekretär Johan Jakobsson - über die mehrmonatigen Hackeraktivitäten wußten und diese sogar deckten.

Göran Persson, seit 1996 Ministerpräsident und Chef der Schwedischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (S) sagte, er sei zutiefst schockiert über die Spionage und fühle sich an einen Einbruch in sein privates Heim erinnert. Daraufhin forderten die Sozialdemokraten und beinahe alle schwedischen Medien den Rücktritt von FP-Chef Lars Leijonborg. Dieser entschuldigte sich persönlich bei Persson und verurteilte die Spionageaktivitäten als "Fehlverhalten Einzelner". Zurückgetreten ist Leijonborg aber nicht - im Gegensatz zu Jakobsson, der sein Amt niederlegte, als die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Westerberg einleitete.

In Wirklichkeit war "Hackergate" für die Sozialdemokraten so kurz vor den Wahlen keine Überraschung. Die Parteispitze hatte - laut schwedischen Medienberichten - die Hacker schon lange im Visier. Die Veröffentlichung samt Anzeige bei der Polizei wurde wohl so lange hinausgeschoben, bis der "ideale" Zeitpunkt zwei Wochen vor den Wah-len gekommen war.

Nicht nur der Zeitpunkt des Öffentlichwerdens an sich, sondern der gesamte Spionageskandal kam den Sozialdemokraten erstaunlich gelegen. Noch vor ein paar Wochen lagen sie - zusammen mit ihren Tolerierungspartnern - in den Umfragen hoffnungslos hinter der neuen bürgerlichen Vier-Parteien-Allianz zurück, zu der neben der FP die konservative Sammlungspartei (M), das bäuerliche Zentrum (C) und die Christdemokraten (KD) gehören. Seit achtzig Jahren regieren in Schweden fast ununterbrochen die Sozialdemokraten - 2002 kamen sie mit 39,8 Prozent der Stimmen auf 144 von 349 Reichstagsmandaten. Persson führt eine Minderheitsregierung, die von der postkommunistischen Linkspartei (V/8,3 Prozent, 30 Sitze) und der EU-kritischen Umweltpartei (MP/4,6 Prozent, 17 Mandate) geduldet wird.

Eingriff in die Pressefreiheit scheint vergessen

Bislang waren die vier bürgerlichen Parteien häufig zerstritten, bis 1998 stützte das Zentrum Perssons Kabinett. 2002 wurde die Sammlungspartei mit 15,2 Prozent (55 Sitzen) stärkste Oppositionskraft. Die FP kam auf 13,3 Prozent (48 Sitze), die KD auf 9,1 Prozent (33 Mandate) und das Zentrum auf 6,1 Prozent (22 Sitze). Laut einer Umfrage von letzter Woche liegt derzeit das linke Lager mit 48,4 Prozent knapp vor der Allianz mit 47,3 Prozent.

Nicht nur die neue Allianz und deren Chef Fredrik Reinfeldt (M) bereitet den Sozialdemokraten Sorgen. Erst vor einem halben Jahr drohte ein anderer Skandal den erneuten Wahlsieg zu verhindern. Im März trat die sozialdemokratische Außenministerin Laila Freivalds zurück, weil sie in Zusammenarbeit mit der Sicherheitspolizei die Internetseiten der rechten Schwedendemokraten (SD) schließen ließ (JF 13/06 und 14/06). Die SD, die bislang an der Vier-Prozent-Hürde scheiterten, hatten zuvor die umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen in ihrer Netzzeitung publiziert. Der verfassungswidrige Eingriff in die Pressefreiheit durch die Schließung einer Zeitung war einmalig in der Nachkriegszeit und wurde von den Medien heftigst kritisiert. Da Freivalds bereits durch einen vorherigen Skandal belastet war, kam Persson ihre Amtsniederlegung gerade recht.

Die rechtzeitige Bereinigung ihres Rufes war für die Sozialdemokraten vor den anstehenden Wahlen wichtig. Doch erst die Rolle des Opfers illegaler Intrigen scheint nun ihre Rettung zu sein. Denn so kurz vor den Wahlen kann eine solche Position einer regierenden Partei nur helfen. Deshalb verwenden die Sozialdemokraten "Hackergate" genüßlich im Wahlkampf. So behauptete Justizminister Thomas Bodström (S) zum Beispiel kürzlich laut Medienberichten, daß die "Rechte" möglicherweise nur die Wahlen gewänne, "da sie ein Verbrechen begangen hat".

Lars Leijonborg wirft den Sozialdemokraten nun den Mißbrauch der Affäre vor. So nimmt der Wahlkampf an Härte zu. Die Generalsekretärin der Sozialdemokraten, Marita Ulvskog, verteidigte das Vorgehen ihrer Partei, indem sie sagte, Leijonborg erinnere sie an einen Vergewaltiger, der die Schuld auf das Opfer schiebe.

Die SD, von den großen Medien ansonsten totgeschwiegen, hofft indes auf einen Achtungserfolg. Bei den Kommunalwahlen 2002 konnte sie erstmals in 30 Gemeinden Mandate gewinnen. Bei den Reichstagwahlen bekam sie 1,4 Prozent - etwa viermal soviel wie 1998.

Foto: Bürgerliche Parteichefs (v.l.n.r.) Fredrik Reinfeldt, Maud Olofsson, Göran Hägglund und Lars Leijonborg im Wahlkampf: "Hackergate" kommt für die Sozialdemokraten zum richtigen Zeitpunkt


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