© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

Medienforschungsinstitut MEDIA TENOR: "Unseriöse Methoden"
Zoff hinter der Mattscheibe
Ronald Gläser

Bettina Warken fackelte nicht lange, als sie vor ihrem Kleiderschrank stand. Die Journalistin entschied sich für das schwarze Kostüm und stiefelte zur Preisverleihung. Für die damals 39jährige Chefin der "Heute"-Sendung war es eine der ersten Auszeichnungen, ein Meilenstein in ihrer jungen Karriere. "Heute" wurde mit dem "Award for Content Diversity" (zu deutsch: Preis für inhaltliche Vielfalt) ausgezeichnet. Das war 2002. Damals stimmte die Chemie zwischen Medientenor und dem ZDF noch.

Ihre Nachrichtenredaktion wies Bettina Warken dann auch gleich an, über diese Sternstunde von "Heute" zu berichten. Und so lief im ZDF ein kurzer Bericht darüber, wie die Firma Medientenor arbeitet. "Ein Jahr lang haben Mitarbeiter des Bonner Medienforschungsinstituts jeden Tag die Hauptfernsehnachrichten, Tages- und Wochenzeitungen in Deutschland Satz für Satz analysiert: Wie viele Themen und Fakten kommen vor? Wie transparent sind die Quellen? Der Sieger bei den Hauptnachrichtensendungen: die 19-Uhr-Sendung "Heute", unterrichtete das ZDF genußvoll seine Zuschauer über die soeben erfolgte Auszeichnung. Die "100 Mitarbeiter des Bonner Medienforschungsinstituts" wurden in dem ZDF-Beitrag als "Experten" bezeichnet, die die "journalistische Vielfalt" der Sendung gelobt hätten.

Publizistische Unterstützung von der Springer-Presse

Mit solchen gegenseitigen Huldigungen ist es längst vorbei. Und daran ist nicht nur die zwischenzeitliche Insolvenz schuld. (Medientenor ging Anfang 2005 pleite, wurde als "Mediatenor" neugegründet.) Bereits unter dem alten Namen zog sich das Institut den Unmut der ARD- und ZDF-Oberen zu, weil es den Öffentlich-Rechtlichen attestierte, gegen "ihren Grundauftrag verstoßen" zu haben.

Jüngster Zankapfel ist die Berichterstattung über den Nahost-Konflikt. Wieder stellte das Unternehmen fest: "In ihren Hauptnachrichtensendungen werden ARD (Tagesschau und Tagesthemen) sowie ZDF (Heute und Heute Journal) ihrem Auftrag der unparteilichen Berichterstattung über die Vorgänge im Nahen Osten nicht gerecht." Im Auftrag der Bild am Sonntag hatte Mediatenor herausgefunden, daß das deutsche Staatsfernsehen zu Israel-kritisch sei. "Die Anti-Israel-Position während des aktuellen Libanon-Krieges steht im Kontext mit einer jahrelangen negativen Darstellung Israels im allgemeinen sowie der demokratisch gewählten Regierung im besonderen sowohl bei ARD als auch ZDF", sagt Mediatenor-Chef Roland Schatz. Die Gescholtenen reagierten wie der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Klaus-Peter Siegloch, von dem folgender Satz bekannt ist: "Zu Untersuchungen von Mediatenor nimmt das ZDF grundsätzlich keine Stellung, weil deren Ergebnisse in der Vergangenheit einer Überprüfung nicht standgehalten haben. Deren Methoden sind unseriös."

Kein Wunder. Denn noch 2004 hatte Medientenor behauptet, die gestiegenen Zuschauerzahlen der Tagesschau seien auf die Halbzeitpausen in den Spielen der Fußball-EM zurückzuführen. Und Geschäftsführer Roland Schatz legte später noch nach: Wenn die Tagesschau läuft, dann steigt der Wasserverbrauch, weil die ARD-Zuschauer pinkeln gehen. Schatz konnte seine These nie mit Fakten von Wasserwerken belegen.

Was also stimmt nun? Hängt eine solche Einschätzung (zu Israel-freundlich oder -kritisch) nicht vom eigenen Standpunkt ab? Und was machen die 225 Mitarbeiter (Unternehmensangaben), wenn ihre Methoden wirklich so unseriös sind? 2004 hatte das Unternehmen 175 Mitarbeiter und machte nach eigenen Angaben 4,3 Millionen Euro Umsatz. Das sind nicht einmal 25.000 Euro pro Mitarbeiter. Sprudelnde Einnahmen sehen anders aus.

Die Firma hat aber nicht nur ein Wertschöpfungsproblem und Feinde. Sie hat auch zufriedene Kunden und Freunde. Publizistische Unterstützung erhält Mediatenor zum Beispiel von der Springer-Presse. Die Bild am Sonntag fungierte nicht zufällig als Auftraggeber der Libanon/Israel-Studie, schließlich gehört Israel-Freundschaft zur Firmenphilosophie bei Springer. Zum zehnjährigen Firmenjubiläum gratulierte die Welt 1994 mit einem großen Aufsatz über Roland Schatz, den "eifrigsten Zeitungsleser Deutschlands". Und Springer-Chef Matthias Döpfner sitzt im 18köpfigen "wissenschaftlichen Beirat".

Dessenungeachtet hat die Firma Mediatenor erhebliche Probleme. Denn wenn es einreißt, daß Behauptungen sich nicht belegen lassen, dann kommt schnell das Vertrauen in die Ergebnisse des Instituts unter die Räder. Und Vertrauen ist "das wichtigste Kapital jeder Organisation". So steht es zumindest auf der Mediatenor-Internetseite.


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