© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

Der guten Absicht erster Versuch
Vor achtzig Jahren trat Deutschland dem Völkerbund bei / Dessen Wirkungskraft stand sogar vor jener der späteren Uno zurück
Herbert Ammon

Vor achtzig Jahren, am 8. September 1926, wurde Deutschland einstimmig von der Versamm-lung in Genf in den Völkerbund aufgenommen, mit Sitz als ständiges Mitglied im Völkerbundsrat. Als die deutsche Delegation zum offiziellen Beitritt am 28. September am Bahnhof in Genf eintraf, empfing sie eine jubelnde Menge.

Den Friedenshoffnungen entsprach in der Beitrittsrede am 30. September Gustav Stresemann, vom Weltkriegsannexionisten zum maßvollen Realisten gereift, mit liberalem Credo: "Wir sehen, wie die Wirtschaft die alten Grenzen der Länder sprengt und neue Formen internatio-naler Zusammenarbeit erstrebt.(...) Wollen wir eine ungestörte weltwirtschaftliche Entwicklung, dann wird das nicht geschehen durch Abschließung der Gebiete voneinander, sondern durch Überbrückung dessen, was die Wirtschaft der Völker trennte." Nachdrücklich warb der deutsche Außenminister für internationale Abrüstung und empfahl das militärisch entmachtete Deutschland als Vorbild. Nach Stresemanns Rede erhoben sich die Delegierten zu Ovationen. Aristide Briand sprach in bewegenden Worten von dem wechselseitigen Vertrauen der beiden Staatsmänner.

Nur eine Verklausulierung ungelöster Widersprüche

Der "Geist von Locarno", der im Oktober 1925 den Weg zur Verständigung eröffnete, durchwehte die Versammlung. In den Locarno-Verträgen hatte Deutschland mit Belgien und Frankreich einen Nichtangriffspakt geschlossen und die bestehende Westgrenze, das heißt die Ab-tretung Elsaß-Lothringens und Eupen-Malmedys, anerkannt. England und das faschistische Italien - Mussolini war in Locarno Verhandlungspartner - fungierten als Garantiemächte. Streitfragen des Reiches mit Polen und der Tschechoslowakei sollten einer Schiedsgerichtsbarkeit unterliegen. Deutschland würde dem Völkerbund beitreten. Die Beitrittsabsicht stand unter zwei Vorbehalten: erstens Gewährung der Gleichberechtigung in Abrüstungsfragen und zweitens Streichung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung, der Durchmarschrechte vorsah und das Reich im Zweifelsfall zu militärischen Sanktionen gegen die verbündete Sowjetunion genötigt hätte.

Die Aufnahme ins Friedensforum des Völkerbundes geschah, bei Lichte besehen, unter diplomatischer Verklausulierung ungelöster Widersprüche. Bei einer späteren Völkerbundssitzung kam es zum Eklat, als ein wutentbrannter Stresemann dem polnischen Außenminister wegen der Behandlung der deutschen Minderheit regelrecht Prügel androhte. Weimars radikale Rechte honorierte weder Stresemanns Realismus noch seinen auf die Ostgrenze zielenden Revisionismus. "Stresemann, verwese Mann!" lautete die Haßparole. Die Verachtung für "pazifistische" Luftschlösser teilte die extreme Rechte mit der KPD, die den Weltfrieden erst nach der Revolution herbeiwünschte und das "Versailler Diktat" mit proletarischer Wut bekämpfte. Die Völkerbundsakte war als Teil I in den Versailler Vertrag eingeschrieben. Verdammten die Kommunisten "Versailles" als Dokument imperialistischer Unmoral, so empörten sich exaltierte Rechte über die vermeintliche Doppelmoral, ja den "Verrat" Wilsons in Versailles.

Die Geringschätzung der am Beispiel des Presbyterianers Woodrow Wilson erwiesenen "Anglo-Saxon hypocrisy" war bis in gemäßigt "nationale" Kreise verbreitet. Das zuweilen noch nachwirkende Bild des naiven Frömmlers wird der Persönlichkeit des Princeton-Historikers Wilson, in der sich Idealismus, Realismus und Ehrgeiz mengten, keineswegs ge-recht. Ohne Zweifel war seine den amerikanischen Kriegseintritt begleitende Rhetorik - in den Formeln "war to end all war", "to make the world safe for democracy" - von der amerikanischen Sendungsideologie durchtränkt. Gleichwohl war die Idee des Völkerfriedens älter als der US-Präsident Wilson und sein im letzten der "14 Punkte" formuliertes Konzept. Es sah die Schaffung "einer allgemeinen Vereinigung der Nationen" zur Friedenserhaltung, "zur wechselseitigen Garantie der politischen Unabhängigkeit und territorialen Integrität gleichermaßen für große und kleine Staaten" vor.

Völkerbundsversammlung, Völkerbundsrat, Generalsekretariat sollten im Zusammenwirken mit dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag den Weltfrieden sichern. Die Präambel beschwor Frieden, Zusammenarbeit der Nationen, Sicherheit und "auf Gerechtigkeit und Ehre beruhende Beziehungen zwischen den Völkern". Sanktionen einschließlich militärischer Intervention sollten Aggressionsakte unterbinden.

Das Scheitern des Völkerbunds allein mit dem Fernbleiben der Gründungsmacht USA - der Versailler Vertrag fand wegen strittiger Völkerbund-Details im Senat keine Zweidrittel-Mehrheit - zu begründen, greift zu kurz. Die tieferen Ursachen lagen - schon vor Hitler - im damaligen Mächtesystem, in den durch die Pariser Verträge akzentuierten Nationalitätenfragen, im allseitigen Revisionismus, nicht zuletzt in der unklaren Rolle des bolschewistischen Rußland. Die von Fridtjof Nansen organisierte Hungerhilfe für Rußland (1921/22) gilt als die größte Leistung des Völkerbundes. Die politischen Schlichtungserfolge - Wilna (1920), Korfu (1923) und Mosul (1924) - fallen kaum ins Gewicht.

Der Einfall Japans in der Mandschurei (1931) offenbarte die Schwäche der "League of Nations". Unbeeindruckt vom Vorwurf der Aggression trat das Gründungsmitglied Japan aus dem Völkerbund aus. Im Oktober 1933 erklärte Hitler den Austritt Deutschlands. Als Be-gründung führte er die Mißachtung des Gleichheitsprinzips bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen an. Er ließ den Akt durch Volksabstimmung bestätigen. Im Gegenzug trat 1934 die Sowjetunion dem Völkerbund bei.

Als der Völkerbund 1936 das neoklassizistische Palais bezog, war die Unfähigkeit, Frieden zu wahren, evident geworden. Die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Italien, das Anfang 1935 in Äthiopien einfiel, blieben wirkungslos, da die USA Öl, Deutschland Kohle an den Aggressor lieferten. Vergeblich appellierte Kaiser Haile Selassi in Genf an das Weltgewissen. Als Mussolini 1937 aus dem Völkerbund austrat, war die Politik zum alten Mächtespiel von Diplomatie, Kriegsdrohung und Krieg zurückgekehrt. Am 1. September 1939 war schließlich die Danziger Mission des Hochkommissars Carl Jakob Burckhardt gescheitert.

Uno sollte die Schwächen des Völkerbundes überwinden

Mit der Gründung der Uno sollten 1945 die Schwächen des Völkerbundes überwunden, der Frieden in der "Einen Welt" gesichert werden. Die Chancen und Grenzen des großen Zieles erleben wir seit sechzig Jahren, in diesen Tagen zum x-ten Mal in Nahost. Dennoch: Wer sich über den Traum des Völkerfriedens mokiert, erliegt der Versuchung intellektueller Eitelkeit. Es handelt sich um Scheinrealismus, der die Schrecken des Krieges überspielt. Gerade heute, da das Denken in "realistischen" Kategorien von simplistischen Moralkategorien ersetzt zu scheint, wäre friedenspolitischer Realismus vonnöten. Das gilt zum einen für die Wahrnehmung der durch Masseneinwanderung heraufziehenden sozial-ethnisch-kulturellen Konflikte, zum anderen für die Analyse der durch den Begriff "Weltinnenpolitik" verhüllten Gefahren. Sie reichen von der Überstrapazierung bei "friedensschaffende Maßnahmen" über das Nahost-Syndrom, die Sprengkraft der Islamismen, die unaufhaltsame Ausweitung des Atomclubs, die Machtprojektionen der neuen Mächte, bis hin zum absehbaren Abschied der USA von der Rolle als Weltpolizist vermittels Macht und Moral.

Wenn die Uno selbst kleine Konflikte wie in Ost-Timor kaum zu befrieden vermag, wie steht es mit den nuklear aufgeladenen Krisenherden? Gäbe es heute einen Stresemann, einen Briand, so wären die Verhältnisse gänzlich andere als 1926. Derzeit fungiert der Friedenskämpfer Joseph Fischer ("Risiko Deutschland"), einst Vorkämpfer eines ständigen deutschen Sitzes im Uno-Sicherheitsrat, als williger Gastprofessor in Princeton.

Foto: Stresemann redet vor dem Völkerbund 1926: Dem polnischen Außenminister Prügel angedroht


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