© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Entmündigung
Karl Heinzen

Im Großraum München sind Ende August in Großhandelsbetrieben nahezu 100 Tonnen Fleischprodukte beschlagnahmt worden, deren Haltbarkeitsdatum angeblich um bis zu vier Jahre überschritten war. Zu einem nicht unwesentlichen Teil soll es sich dabei um Döner-Spieße gehandelt haben. Ein Zusammenhang mit islamistischen Terroristen wird von den Ermittlungsbehörden jedoch nicht hergestellt. Es ist daher auch nicht bekannt, ob die Ware von den Tätern ursprünglich bereits zum Verzehr während der Fußball-Weltmeisterschaft bestimmt worden war.

Die zuständigen Gesundheitsämter gehen davon aus, daß noch vor dem Zugriff der Polizei Abnehmer im ganzen Bundesgebiet beliefert wurden und Problemfleisch in Einzelfällen schon den Endverbraucher erreicht hat. Berichte über gesundheitliche Schäden, die hier ihren Ursprung hätten, liegen allerdings nicht vor. Es ist derzeit nicht einmal sichergestellt, ob das beanstandete Fleisch überhaupt verdorben und damit zum Verzehr ungeeignet war. Augenzeugen berichten lediglich von einem unappetitlichen äußeren Eindruck, den sie gewonnen hätten. Legte man dieses Kriterium zugrunde, müßten Lebensmittelkontrolleure jedoch sicher in mehr als 90 Prozent der Haushalte Tag für Tag zur Beschlagnahmung des Mittagessens schreiten.

Die Hochstilisierung dieses "Falls" zum bundesweit beachteten "Lebensmittelskandal" hat somit kaum sachliche Gründe. Gerade in dieser Hinsicht ist er aber leider durchaus symptomatisch für die Hysterie, die sehr viele Verbraucher an den Tag legen, sobald sie den Eindruck gewinnen, daß es in der Produktion von irgend etwas, das auch sie zu essen oder zu trinken pflegen, nicht mit rechten Dingen hergegangen sein mag, obwohl sie ansonsten gar nicht übermäßigen Wert auf eine gesunde Ernährung legen.

Dieser Irrationalismus ist auch hier das Einfallstor für totalitäres Denken. Da es ja um das heilige Gut der Gesundheit geht, wird von jenen, die Nahrungsgüter anbieten, eine Perfektion hinsichtlich Qualität und Hygiene erwartet, die es im wirklichen Leben nun einmal nicht geben kann. Eine Heerschar von Kontrolleinrichtungen des Staates und selbsternannten Verbraucherschützern setzt diese kruden Phantasien von Lebensmittelreinheit brutal durch. Längst wurde dabei eine Dimension von Regulierung und Überwachung erreicht, die den Bürger entmündigt. Wo der Verbraucher nicht mehr selbst entscheidet, ob ein Produkt als verdorben anzusehen ist oder nicht, kann nicht von Konsumentensouveränität gesprochen werden.


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