© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

Bomben verschrecken Touristen
Türkei: Die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) verbreiteten Angst und Unruhe / Genaue Hintergründe sind unklar
Gunther Deschner

Gerade erst hatte die kurdische PKK der türkischen Regierung wieder einmal einen Waffenstillstand angeboten - und wie üblich nicht einmal eine ablehnende Antwort erhalten -, da machte eine andere Organisation mit Blut deutlich, daß das Kurdenproblem der Türkei nach wie vor sehr weit von einer Lösung entfernt ist: Eine Serie von Terrorakten, zu denen sich eine Gruppe namens "Freiheitsfalken Kurdistans" (Teyrebazên Azadiya Kurdistanê/TAK) bekannte, verbreitete Angst und Unruhe. Doch die Terrorexperten sind ziemlich ratlos: "Man weiß nicht einmal, ob es Stellen gibt, die über die Freiheitsfalken etwas wissen", erklärte etwa Heinz Kramer, Türkeikenner der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Möglich wäre es schon, daß - wie von Ankara offiziell verlautet - die PKK auch hinter den "Falken" steckt. Als mächtigste Organisation der türkischen Kurden hatte die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistan/PKK) 1999 nach der Verurteilung ihres Chefs Abdullah Öcalan einen einseitigen Waffenstillstand verkündet, die Forderung nach einem kurdischen Separatstaat im Südosten der Türkei aufgegeben und erklärt, die Lösung könne auch in der "Demokratisierung" der Türkei, der Anerkennung und Gleichberechtigung sowie der Gewährung kultureller Autonomie für die kurdische Minderheit liegen. Erst im Frühjahr 2004 nahm die PKK ihre Militäroperationen mit der Begründung wieder auf, Ankara lasse keine Anstrengungen erkennen, die bisherige Unterdrückungspolitik zu beenden und eine politische Antwort auf die Frage zu suchen, die sich durch die Existenz von jetzt 15 Millionen Kurden im Staat der Türken seit Jahrzehnten stellt.

Fast zeitgleich begannen auch die Terroraktionen der "Freiheitsfalken". Die koordinierte Vorgehensweise entspräche der Logik von Untergrundbewegungen: Die PKK würde ihren Kampf hauptsächlich auf die kurdischen Gebiete im Südosten der Türkei und dort gegen die türkischen Sicherheitskräfte richten. Die "Falken" hingegen würden als "Stadtguerilla" fungieren, die man in türkischen Ballungs- und Touristengebieten zuschlagen läßt, damit die Sicherheitsorgane des Feindes auch im Hinterland gefesselt sind und damit die Welt nur ja nicht denkt, das Kurdenproblem der Türkei habe sich mit den Zugeständnissen erledigt, die im Zuge der Gespräche über den EU-Beitritt aus kosmetischen Gründen notwendig geworden sind. Auf ihrer Internetseite kündigen die TAK an, ihre Attentate "vor allem im touristischen Bereich" zu konzentrieren. "Der Tourismus", so die Begründung, "ist einer der Hauptbereiche, welche den schmutzigen Krieg gegen das kurdische Volk nähren und finanzieren".

Oder rekrutieren sich die TAK, wie sie in ihrer Selbstdarstellung mitteilen, aus unzufriedenen Ex-Mitgliedern und Sympathisanten der PKK, die den von Öcalan verkündeten und seinen Nachfolgern gepflegten "Schmusekurs" mit Ankara für abwegig halten? Auch dies hat etwas für sich.

Einleuchtend ist aber auch eine Erklärung, die Sicherheitsexperten der irakischen Kurdenregierung geben, daß die TAK eine Organisation sui generis ist, die aus dem schier endlosen Reservoir frustrierter junger Kurden schöpfen kann, das sich in den Elendsvierteln von Istanbul, Izmir oder Ankara gebildet hat. Der nach Millionen zählende kurdische Bevölkerungsanteil in den Städten des türkischen Westens und Südens ist erst in den neunziger Jahren entstanden, als die türkische Armee im kurdischen Südosten etwa 3.000 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht hatte, Anbauflächen und Obstplantagen und damit die Lebensgrundlagen von mehr als zwei Millionen kurdischer Bauern zerstörte. Die ihrer Lebensgrundlagen beraubten Massen strömten nach Westen. Zehntausende konnten sich bis zu den Sozialämtern in den Staaten der EU durchschlagen, Hunderttausende jedoch bilden jetzt in den türkischen und türkisch-kurdischen Großstädten ein bemitleidenswertes, entwurzeltes Proletariat - ohne Arbeit und Geld und ohne Perspektive.

Die Parallelen zur Entstehung des Palästinenserproblems liegen auf der Hand. Auf diese verzweifelten Menschen, ein "Reservoir für die Rekrutierung von Extremisten", machte jetzt die Gesellschaft für bedrohte Völker aufmerksam: "Die neuen Terroranschläge von kurdischen Extremisten sollten dringend zum Anlaß genommen werden, nicht nur diesen Terror zu bekämpfen, sondern auch die unerträgliche Diskriminierung der türkischen Kurden einzustellen."


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