© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

Gerlindes Welt
Integration II: Grundschuleinführung in Multikultopia
Matthias Bäkermann

Selçuk ist mit seinen sechs Jahren ein absoluter Experte und bringt Playstations zum Glühen, während er den Bleistift zum Schreiben kaum richtig halten kann. Hamoudi wechselt mühelos zwischen Deutsch und Arabisch hin und her, Leyla zwischen Deutsch und Türkisch, sie freut sich schon aufs Früh-Englisch." Andrej kann schon etwas lesen, Lisa hat eine klare Strimme und Laura "findet sich in großen Gruppen gut zurecht". So wie dieses kleine Idyll wünscht sich der Arbeitskreis Neue Erziehung e.V. (ANE), der seit sechzig Jahren Eltern dabei unterstützt, "ihre Kinder zu selbstbewußten und wachen Mitgliedern einer demokratischen Gesellschaft zu erziehen", die zukünftigen ABC-Schützen in Deutschland - wenigstens deutet das ihr jetzt in vielen Bundesländern zur Einschulung herausgegebene "Brief für alle Eltern von Grundschulkindern" an.

In den Schulen, die der Arbeitskreis im vielsprachigen Babel für ideal hält, ist natürlich "der Frontalunterricht abgeschafft" und da "kommen Schauspieler oder Handwerker an die Schule und arbeiten mit den Kindern Projekte aus". Und falls ob dieses Bildungsideals "beim Elternstammtisch Alkmedes Vater mit dem Kopf schüttelt" und bemängelt, daß die Schüler den Lehrern auf der Nase tanzen, wird Theos Vater antworten: "Wie denn auch bei 28 Schülern in der Klasse!" "Ach so!" wird dann Alkmedes Vater denken und zusammen mit "Erkans Vater" weitere Fragen nach Erziehungsmethodik mit "Theaterpädagogen" oder dem tollen Grundschulfach "WUV", das nämlich "WahlUnterrichtVerbindlich" bedeutet, lieber unterdrücken. Damit die rat- und oft eben auch sprachlosen Eltern der Selçuks, Erkans und Leylas mit der Lektüre wirklich "verstehen lernen", daß ihre Sprößlinge künftig Teil dieses Reformschulprojektes werden, das weniger "Bildungstankstelle" als ein "lebendiges Gebilde" sein soll, ist der Elternbrief "Schule leben-Okulu Yaşamak" durchweg zweisprachig verfaßt.

Mit viel interkulturellem Gefühl wird nebenbei auf "die Eltern von Gülay" eingewirkt "und deren Befürchtungen ernst genommen", diese doch auf Klassenfahrten mitfahren zu lassen - nicht etwa, weil das in Deutschland so üblich ist, sondern weil "Lehrer unsere Unterstützung brauchen". Natürlich läßt sich "nicht immer alles regeln, wenn so unterschiedliche Erfahrungen aufeinander treffen", aber vielleicht kommt es am Ende über das "Gespräch miteinander" doch noch zu einem Kompromiß.

Geistige Mutter dieser Multikulti-Erziehungsromantik mit doch eher deutsch-türkischem Gesicht ist Gerlinde Unverzagt aus dem Stab der "ANE-MitarbeiterInnen", die 2005 mit dem Pseudonym Lotte Kühn und ihrem "Lehrerhasserbuch" die Verkaufslisten stürmte.

Finanziert wird das zweisprachige Projekt, das über die "Förderung interkultureller Kompetenzen die demokratische Erziehung gestalten" und "Respekt fördern" will, fast ausschließlich mit Steurgeldern. Neben vielen Ministerien und Ämtern meist SPD-regierter Bundesländer verleiht aber erst der Aufdruck des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dem Projekt den richtig offiziellen Charakter. Der Unterstützung eines derart gutmeinenden "zivilgesellschaftlichen" Engagements konnte sich das von Ursula von der Leyen (CDU) geführte Haus anscheinend nicht entziehen.

Arbeitskreis Neue Erziehung e.V., Boppstraße 10, 10967 Berlin ( www.ane.de )


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