© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/06 01. September 2006

Meldungen

Furcht vor einem nahen Gezeitenwechsel

BERLIN. Die Theorien zur begrenzten Kapazität des kollektiven Gedächtnisses und seinen in der Regel nur drei Generationen prägenden Inhalten scheinen den Hütern bundesdeutscher "Vergangenheitsbewältigung" langsam Sorgen zu bereiten. Anläßlich eines Colloquiums zum 80. Geburtstag des israelischen "Doyen der Holocaustforschung", Yehuda Bauer, nimmt Festredner und Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hierzulande einen "Gezeitenwechsel" in der politischen Kultur wahr (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 6/06). Zwar hofft er, das Berliner Mahnmal werde dazu beitragen, daß die "Beunruhigungskraft" nicht beim anstehenden Generationswechsel abnehme. So "ganz sicher" sei er sich da aber nicht. Schließlich habe er in der DDR erlebt, wohin "verordnetes, gar zwanghaftes Erinnern" führe. Denn der "Antifaschismus", für Thierse offenbar ein Pendant zum bundesdeutschen "Holocaust im öffentlichen Bewußtsein", sei nach "glaubwürdigen" Anfängen nie mehr gewesen als ein "ideologisches Herrschaftsinstrument zur moralischen Legitimierung der SED-Diktatur". Ungeachtet dieser Einsichten will Thierse nicht von vergleichbaren Instrumentalisirungen lassen und fordert die weitere Finanzierung der Bundesprogramme, um "rechte Jugendliche mit dem Holocaust zu konfrontieren". Wolfgang Benz, Berliner "Antisemitismusforscher", ebenfalls von der nachlassenden "moralischen Bewegtheit des Publikums" beunruhigt, erwägt eine härtere Gangart. Den "Bodensatz an Unverbesserlichen" überantwortet er "Justiz, Polizei, Politik". Ob dieses Triumvirat auch gegen die von ihm ins Visier genommenen Exponenten der "falschen", durch "Umtriebe der Vertriebenenfunktionäre" virulenten Erinnerung in Stellung zu bringen ist, läßt Benz offen.

 

Zweifel an Wende in der Stammzellenforschung

LONDON. Der US-Biologe Robert Lanza hatte jüngst behauptet, embryonale Stammzellen erzeugen zu können, ohne die Embryonen abzutöten. Dabei soll es gelungen sein, einzelne Zellen zerstörungsfrei zu entnehmen und zur Vermehrung anzuregen. Bisher mußten den Embryonen so viele Zellen entnommen werden, daß sie dabei in der Regel vollständig zerstört wurden. Die neue Methode könnte Stammzellforschung ermöglichen, ohne dabei menschliche Embryonen abzutöten, sagt Lanza im Fachmagazin Nature, womit ethische Bedenken gegen diese Technik weitestgehend umgangen werden könnten. Deutsche Wissenschaftler melden jedoch Zweifel an. So kritisiert der Bonner Stammzellenforscher Oliver Brüst-le Lanzas Verfahren als "ineffizient", da zu viele Embryonen benötigt würden. Als "sehr geschickt verpackte heiße Luft" bezeichnet Hans Schöler, Direktor des Max-Planck-Instituts für Molekulare Biomedizin in Münster, die Methode. Sie sei wenig spektakulär, weil sie dem bisher etablierten Verfahren der Präimplantationsdiagnostik (PID) sehr ähnele.


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