© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/06 01. September 2006

"Der letzte macht das Licht aus"
Bevölkerungsentwicklung: Auf dem ersten Demographie-Kongreß in Berlin sorgen sich Verwaltungsfachleute und Politiker um die Zukunft
Markus Schleusener

Wie organisiert eine Gemeinde den eigenen Schrumpfungsprozeß? Wie vermittelt ein Bürgermeister seinen Wählern, daß die Bibliothek geschlossen, das Gymnasium zugemacht werden muß? Das deutsche Volk schrumpft, soviel ist inzwischen auch der Bild-Zeitung klar ("Die Deutschen sterben aus", titelte das Blatt kürzlich). Neu ist, daß sich nun auch die politisch Verantwortlichen und die Behörden zunehmend Gedanken darüber machen, wie sich dieser Prozeß gestalten läßt.

Der Bevölkerungsschwund verläuft nicht überall gleichmäßig - im Gegenteil. Einige Regionen werden sogar noch gestärkt durch Zuwanderung. Andere deutsche Landstriche werden dafür vermehrt unter Geburtendefizit und Wanderungsbewegungen zu leiden haben.

Noch ist der Bevölkerungsschwund ein Ost-Problem. Der Westen kompensiert seinen Bevölkerungsausfall aufgrund niedriger Geburtenraten durch Zuzug aus dem Osten. Seit der Wende sind 1,5 Millionen Mitteldeutsche in den Westen gegangen. Berlin, Dresden, Leipzig, Jena, Halle, Magdburg, Rostock - das sind die wichtigsten Leuchttürme im Osten, die sich gegen den Bevölkerungsrückgang wehren können. Um so stärker wird die Einwohnerzahl anderswo sinken.

"Problemregionen werden zum Beispiel die Altmark, die Uckermark und die Niederlausitz sein", sagt Hans-Peter Gatzweiler, Abteilungsleiter im Bundesamt für Raumwesen und Städtebau. Seine Aufgabe ist es, die "Daseinsvorsorge" der Menschen auch auf dem flachen Land zu sichern. Deswegen zerbricht er sich den Kopf darüber, wie in zwanzig Jahren die Infrastruktur in den neuen Ländern aussehen soll, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher.

Schlagabtausch zwischen Milbradt und Tiefensee

Mit solchen und ähnlichen Fragen befaßte sich in der vergangenen Woche der 1. Demographie-Kongreß in Berlin. Die Teilnehmer waren überwiegend Verwaltungsangehörige, die Redner Politiker aus den Reihen der Großen Koalition. Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) verwies auf die Vorreiterrolle seines Bundeslandes bei der Vorbereitung auf den demographischen Wandel. Und er leistete sich einen Schlagabtausch mit Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Milbradt verkündete, eine Raumordnungspolitik, die auf gleichwertige im Sinne von fast identischen Lebensverhältnissen zielt, sei nicht realistisch.

Tiefensee, einst Leipzigs Oberbürgermeister, nahm dieses Argument auf. Schon 2005 hatte sich die Linke über die Äußerung von Bundespräsident Horst Köhler empört, die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland sei illusorisch. Provozierend fragte Tiefensee: "Wie können wir die Gleichheit der Lebensverhältnisse erreichen?" Das sei ja schließlich "im Grundgesetz verankert", so Tiefensee weiter. "Das ist ein Problem, das angegangen wird."

Auch der Verkehrsminister leugnete das Problem des Bevölkerungsrückgangs im Osten nicht. Er sagte: "Es hat keinen Sinn, Vanillesoße darüber zu kippen und so zu tun, als könnten wir einfach so weitermachen." Wir sollten aber auch die Chancen begreifen, die in der Entwicklung lägen.

Auf die Frage, wie er die zunehmende Auswanderung junger, fleißiger Deutscher beurteilt, drückte er sich um eine klare Antwort. Vielmehr verstieg sich der Minister in der regierungsamtlichen Mitteilung: "Deutschland wird immer attraktiver - höhere Löhne, gutes Klima, gute Ausbildung und Infrastruktur. Wegzug ist nur problematisch, wenn es nicht genug Zuzug gibt." Dann gab er sich plötzlich wieder als Warner: "Der demographische Wandel ist von höchster Bedeutung und Brisanz." Gleichzeitig fordert er aber, das Ganze nicht mit dem Adjektiv "katastrophal" zu beschreiben. Denn schließlich: "Eine Geburtenrate von 1,4 im Durchschnitt ist ja so schlecht nicht."

Sorge um das städtische Theater

Der Bund hat, so Tiefensee, die Mittel für die "Soziale Stadt" 2006 von 60 auf 110 Millionen aufgestockt. Die Vorgehensweise der sächsischen Landesregierung, die das Geld fast ausschließlich für den Wohnungsrückbau verwendet, sei "nicht vorbildlich", sagte er. Dieser Zwist der Partner in der Großen Koalition ist für Jürgen Polzehl (SPD) nur Spiegelfechterei. Der Bürgermeister von Schwedt hat mit den realen Auswirkungen des demographischen Wandels alle Hände voll zu tun. "Wie halte ich das Theater in der Stadt?" ist seine größte Sorge. Ohne das Theater würde das Städtchen an der Oder noch unattraktiver. Dann würden wieder ein paar abwandern, die jetzt gerade noch in der Stadt bleiben. Und das trotz 24 Prozent Arbeitslosigkeit.

Schwedt war mal die jüngste Stadt der DDR, ein "Juwel" sozialistischer Industriepolitik. Und auch heute noch werden hier von der (weitgehend technisierten) Industrie fünfzehn Prozent der gewerblichen Produktion Brandenburgs hergestellt. Nur für Menschen ist kein Bedarf mehr im nördlichen Brandenburg: Seit 1990 ist die Zahl der Schwedter von 50.000 auf 36.000 gefallen.

Polzehl, früher Baudezernent, hat deswegen schon Mitte der neunziger Jahre angefangen, Plattenbausiedlungen architektonisch aufzulockern. Und das ging so: Ein mittlerer Teil der Platte wurde abgetragen. Dann wurde bei den verbliebenen Gebäudeteilen das 5. Stockwerk entfernt und durch ein Schrägdach ersetzt. "Da sind schöne Stadtvillen entstanden" freut sich der Bürgermeister. Und die Bewohner hätten den Stadtumbau akzeptiert. Bis auf die Bild-Zeitung eben, die die Schwedter Stadtverwaltung einmal verhöhnt hat: "'Der letzte macht das Licht aus', haben die sich beschwert", berichtet Polzehl.


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