© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/06 25. August 2006

Machtvolle Demonstration der christlichen Jugendbewegung
1956 fand ein vielbeachtetes Bundeszeltlager des Bundes Neudeutschland statt / Die "katholische Kaderschmiede" fristet heute nur mehr eine Nischenexistenz
Manfred Müller

Bleibt Eurer Art und Euren alten Zielen treu. Helft sodann mit, Euer Volk für Christus zu gewinnen." Diesen Wunsch richtete Papst Pius XII. an die über 1.800 Mitglieder der Jungengemeinschaft des Bundes Neudeutschland (ND), die sich im August 1956 in Freiburg im Breisgau zum Bundeszeltlager trafen. Der Pacelli-Papst kannte diesen Bund katholischer höherer Schüler seit jenen Jahren, in denen er als Nuntius in Deutschland gewirkt hatte. "Wir sind die Zeit": Unter dieser Losung wollten nun die Lagerteilnehmer, vorwiegend Schüler der gymnasialen Oberstufe, an eine zeitgemäße geistige Standortbestimmung herangehen. Lagerleiter war der Student Philipp Jenninger, später Präsident des Deutschen Bundestages.

Das staatspolitische Verantwortungsgefühl der Lagerteilnehmer wurde in dem Grußtelegramm an Bundeskanzler Adenauer betont: "Die Aufgabe, als verantwortungsfrohe Christen im Lebensbereich der Schule mitzuwirken an der Gestaltung unserer Zeit, bestimmt Bildungsziel und Apostolat des Bundes Neudeutschland und ist Thema des Freiburger Bundestreffens. So hofft der Bund Neudeutschland beizutragen zum Aufbau unseres Volkes und Staates." In anspruchsvollen Referaten wurde das Lagerthema behandelt, Arbeitskreise versuchten es für die verschiedenen Lebensbereiche zu konkretisieren. Bundesleiter Franz Mahr brachte es in der Lagerzeitung auf die griffige Formulierung: "Die Zeit wird nicht geformt von blassen Begriffen, sondern von lebendigen Vorbildern, von Menschen, die den andern ein Hochethos vorleben, von echten kleinen Gemeinschaften, die höchste Forderungen an sich selbst stellen."

Den Teilnehmern wurde einiges abverlangt: Zeitweise drohte der Lagerplatz wegen schwerer Regengüsse im Morast zu versinken, dann wieder schien die Sonne bei fast tropischen Temperaturen. Aber das Gemeinschaftserlebnis beim gemeinsamen Singen, beim Lagersport, bei lustigen und besinnlichen Veranstaltungen, bei Feiern und Gottesdiensten glich das aus. Manches blieb unvergeßlich. So etwa die Aufführungvon "Thor mit Engel" (Christopher Fry) durch eine ND-Laienspielschar vor Freiburgs Münster und danach der Fackelzug zum Lager. Ein Teilnehmer notierte in seiner Lagerchronik: "Schweigend ziehen die Scharen hinter den Bannern mit lodernde Fackeln durch die Straßen, die einige Stunden zuvor von unseren Liedern widerhallten. Nun hört man nur den Marschschritt der vielen. Im Lager werden die Fackeln zu einem Feuer zusammengeworfen. Lagerkaplan Kuch spricht das Nachtgebet."

Der Spiegel hat einmal den Bund Neudeutschland eine "katholische Kaderschmiede" genannt. Dies trifft durchaus zu, wenn man an die vielen Prominenten aus Kirche, Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur denkt, die aus diesem Bund hervorgegangensind. Mancher lernte in diesem Lager den Studenten Bernhard Vogel kennen, den späteren Ministerpräsidenten von Rheinland Pfalz und Thüringen, der in diesen Augusttagen durch seine Sangesfreude auffiel.

Im Richtungsstreit letzter Sieg der "Jugendbewegten"

Aufmerksame Beobachter konnten damals erste Anzeichen einer Krise entdecken, die sich im Bund in den kommenden Jahren immer stärker bemerkbar machte. Bei allen unbestreitbaren Gemeinsamkeiten, in denen man sich einig war, bahnte sich doch ein mitunter sogar erbittert geführter Richtungsstreit an. Als das Bundesthing im Freiburger Lager Franz Mahr erneut zum Bundesleiter wählte, zeigten sich die Anhänger einer Strömung, die sich als avantgardistisch verstand, entsetzt. Mahr, Jahrgang 1907, geistlicher Studienrat, 1925/26 Gauleiter des ND Frankengaues, dort nach dem Zweiten Weltkrieg auch lange Gaukaplan, stand für eine Richtung, die das jugendbewegte Erbe des Bundes in Gedankengut und Formen behutsam mit neuen Entwicklungen in Einklang bringen wollte. Die Gegenrichtung wollte, was nicht immer offen zugegeben wurde, mit der jugendbewegten Tradition brechen. Sie verstand sich als IKSJ (Internationale Katholische Studierende Jugend) und orientierte sich ganz stark an der französischen JEC (Jeunesse Etudiante Chrétienne).

Man übertrug die Methodik der JEC auf die deutschen Verhältnisse. Um die wenig oder gar nicht kirchlich orientierten Mitschüler gewinnen zu können (Milieuapostolat), wollte man sich ganz nach deren Interessen und Lebensgewohnheiten ausrichten. Da konnten die jugendbewegten Elemente der ND Jungengemeinschaft nur hinderlich sein, mußten also verschwinden. Es ging um die keineswegs unproblematische Anpassung an den Zeitgeist, wie er sich an den Schulen bemerkbar machte, um Anpassung an konsumorientierte Haltungen, an den Amerikanismus mit seinen schillernden Erscheinungsformen wie auch durch Aufnahme der One-World-Ideologie.

Auf Umwegen sollten also die Mitschüler allmählich an Christus und an die Kirche herangeführt werden. Das alles konnte recht geistvoll vorgetragen werden etwa von Theodor Hanf, der in der Freiburger Lagerzeitung die Gegenrichtung mit Spott und Ironie bedachte. Der emeritierte Professor gilt heute als einer der Pioniere deutscher Entwicklungsländerforschung und als Nestor der deutschen Afrikaforschung.

Gesamtkirchlich fand diese oft überschwenglich praktizierte "Öffnung zur Welt" ihre Entsprechung im II. Vatikanischen Konzil und der Umsetzung seiner Beratungen. Als die 68er Kulturrevolution von den Universitäten auf die Gymnasien überschwappte, war dort eine stark geschwächte ND-Jungengemeinschaft zu finden, die sich 1966 in "Katholische Studierende Jugend" umbenannt hatte. In den folgenden Jahrzehnten ging es weiter bergab, obwohl nun auch Mädchen zu den KSJ-Gruppen gehörten. Was heute noch davon an wenigen Schulen zu finden ist - meist linkskatholisch und auf Multikulti ausgerichtet -, hat allenfalls marginale Bedeutung.


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