© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/06 25. August 2006

Klassik
Triumphal
Andreas Strittmatter

Sie sind von Anfang an schwindsüchtig oder mindestens am Ende ein Fall für die Klapsmühle, werden gelinkt, verhandelt, verschachert, verkauft, verraten, verbrannt, zwangsverheiratet, vergiftet, eingemauert, abgestochen, gemeuchelt: In anatolischen Spießerfamilien und in der Oper haben Frauen keinen leichten Stand.

In beiden Fällen gibt es freilich Ausnahmen. Um bei der Oper zu bleiben: Gioacchino Rossini hatte immer wieder ein Herz für liebenswerte Emanzipation. Dessen Rosina im "Barbier" läßt sich ebensowenig von der Männerwelt unterkriegen wie etwa "Die Italienerin in Algier" - und es ist keineswegs "nur" das gnädige Schicksal, welches die Mädels mit heiler Haut davonkommen läßt. Im Gegenteil, die Damen nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Am Ende tanzt das andere Geschlecht nach ihrer Pfeife. Zu den Frauenfiguren Rossinis, die mit allen Wassern gewaschen sind, zählt auch "Matilde di Shabran". Mit kokettem Zuckerbrot und selbstbewußter Peitsche sorgt die Titelheldin dieses "Melodramma giocoso" mit dem Untertitel "Die Schönheit und das Eisenherz" dafür, daß Obermacho Corradino der "Prima Donna" zum Schluß-Rondo aus der Hand frißt.

Das 1821 in Rom uraufgeführte Werk sprudelt nur so von glänzenden Einfällen, verlangt den Solisten aber auch ungemein viel ab. Dies vor allem mag der Grund sein, daß "Matilde di Shabran" schon nach der römischen Premiere nur selten andernorts nachgespielt wurde und bald in der Versenkung verschwand.

Auch heute dürften die meisten Theater Schwierigkeiten haben, diese Oper angemessen zu besetzen. Das Rossini-Festival in Pesaro hatte das Werk 1996 im Programm und brachte es im August des vergangenen Jahres nochmals auf die Bühne. Beide Male war "Matilde di Shabran" vor allem mit einem Namen verbunden: Vor zehn Jahren sprang der Tenor Juan Diego Flórez nach der Absage von Bruce Ford in der Rolle des Corradino ein und legte damit den Grundstein zu einer Karriere, in deren Verlauf sich Flórez zum führenden Tenor für die Opern des Belcanto und der italienischen Romantik gemausert hat.

Was Wunder, daß sich auch im letzten Jahr alles wieder um den jungen Peruaner drehte, der die exorbitanten Schwierigkeiten seiner Rolle kühn und mit so manchem glanzvollen Spitzenton meisterte. Die Partie des ebenso großmäuligen wie wehleidigen Burgherren und waffenstarrenden Kriegers Corradino (der die Menschheit im allgemeinen und die Frauen im besonderen verachtet) ging ihm ohne allzu hörbare Anstrengung über die Lippen. Zwischenzeitlich liegen diese Aufführungen in einem rundweg gelungenen Mitschnitt bei Decca vor. Den triumphalen Habitus verdankt diese Aufnahme allerdings nicht nur Flórez, sondern durchaus dem gesamten Ensemble, das unter der zupackenden Leitung von Riccardo Frizza und begleitet vom Orquesta Sinfónica de Galicia - das wunderbare Solohorn in der Cavatine "Ah! perché, perché la morte non ascolta" stehe stellvertretend für die hervorragenden Bläserleistungen - die (Klang-) Bühne bevölkert.

Corradinos Bezwingerin Matilde wird von Annick Massis mit leichtem und sehr wendigem Sopran charakterisiert - in manchen Ensemblesätzen (der erste Akt wartet mit einem umfangreichen Quintett, der zweite mit einem etwas kürzeren, aber ebenso turbulenten Sextett auf, in beiden Fällen bringt Rossini die Musik auf den Siedepunkt) würde man sich noch einen Deut mehr Durchschlagskraft wünschen, wird dafür aber an anderer Stelle mit bezaubernden Koloraturen entschädigt. Auf keinen Fall darf zuletzt Marco Vinco als Corradinos Leibarzt Aliprando unerwähnt bleiben - selten vereinigt ein Bassist Volumen und Geläufigkeit so überzeugend in einer Stimme.


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