© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/06 25. August 2006

15.000 Euro für Schwangere
Österreich: Äußerst knapper Ausgang der Nationalratswahl erwartet / Stimmenfang mit Rap-Musik und "Law & Order"-Parolen
Bernd Christoph Ströhm

Alle Parteien Österreichs machen derzeit "mobil", denn am 1. Oktober finden die Nationalratswahlen statt. Und es könnte spannend werden: "Wenn es so bleibt wie jetzt, wissen wir erst in der Wahlnacht, ob vier oder sechs Parteien ins Parlament einziehen", erklärte letzte Woche Meinungsforscher Peter Ulram vom Fessel-Institut. Umfragen sehen die Kanzlerpartei ÖVP bei 39, die SPÖ bei 36, die Grünen bei elf und die FPÖ bei sieben Prozent. Die von der FPÖ abgespaltene Regierungspartei Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) und die Liste des EU-Abgeordneten und Kronen Zeitung-Kolumnisten Hans Peter Martin (HPM) werden um die Vier-Prozent-Hürde herum angesiedelt. Der KPÖ, die bislang nur in der Steiermark erfolgreich ist, werden keine Chancen eingeräumt.

FPÖ-Initiative "Kontrakt fürs Leben" gestartet

Angesichts des zu erwartenden knappen Ausgangs ist es um so wichtiger, möglichst breite Wählerschichten anzuziehen. Während FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit dem in der Wiener Diskothek "Nachtschicht" präsentierten "HC-Rap" wohl auf junge Wählerschichten zielt, versucht die FPÖ Kärnten im konservativ-katholischen Milieu zu punkten. Im Stammland von Jörg Haider - der 2005 das BZÖ gegründet hat - tritt sie gegen ihren langjährigen Parteiobmann an. Hier hat sie die Initiative "Kontrakt fürs Leben" gestartet: "Junge schwangere Frauen haben oft nur die Wahl, entweder die Ausbildung, den Beruf und die Karriere aufzugeben oder seelische Probleme infolge einer Abtreibung in Kauf zu nehmen", erläuterte letzte Woche der geschäftsführende FPÖ-Landeschef Karlheinz Klement. Den werdenden Müttern solle künftig die Möglichkeit geboten werden, einen Vertrag einzugehen, das Kind nicht abzutreiben, sondern nach der Geburt zur Adoption freizugeben.

Es gebe genügend kinderlose österreichische Paare, die adoptieren wollen. Das wäre auch ein Beitrag, um "die österreichische Bevölkerung zu erhalten", meinte Klement. Frauen in Not, die sich für ihr Kind entschieden, sollten eine Pauschale von 15.000 Euro erhalten. Die geschätzten Kosten von etwa 4,5 Milliarden Euro jährlich seien ein "Pappenstiel" angesichts dessen, was jährlich für "Asylanten oder Entwicklungshilfe" ausgegeben werde, so Klement.

"Menschenverachtend" und "ungeheuerlich" sei die FPÖ-Idee, meinte hingegen die Kärntner SPÖ-Abgeordnete Melitta Trunk. Frauen in Notlagen bräuchten eine familienfreundlichere Politik. "Das ist wieder nur ein Versuch, Frauen, die eine Abtreibung vornehmen, ein schlechtes Gewissen zu machen", erklärte Brigid Weinzinger, Frauensprecherin der Grünen. "Darüber hinaus ist es ein völliger Irrsinn zu glauben, daß es eine Frau psychisch weniger belaste, ihr Kind zu verkaufen als abzutreiben."

Die christdemokratische ÖVP versucht sich dagegen als "Law & Order"-Partei zu verkaufen. Im steirischen Fürstenfeld startete sie letzte Woche eine Anti-Bettler-Kampagne. Die 6.000-Einwohner-Stadt solle als erste "bettlerfrei" werden. Vom dortigen ÖVP-Bürgermeister Werner Gutzwar wurde eine ortspolizeiliche Verordnung beschlossen, welche Betteln mit Geldbußen belegt.

"Kinderschänder gehören lebenslang weggesperrt"

Damit werde "Armut bestraft", kritisierte die grüne Menschenrechtssprecherin Edith Zitz. Gutzwar kontert, daß man so gegen "Betteltouristen" aus dem Osten vorgehen wolle. Gleichzeitig könne man die Kriminalität senken. Das BZÖ unterstützt die örtliche ÖVP und setzt noch einen drauf: "Anti-Bettel-Kampagnen" müsse es auch in anderen Städten wie der Landeshauptstadt Graz geben.

"Law & Order gefällt mir gut, damit waren wir in den neunziger Jahren sehr erfolgreich", bekannte letzten Montag auch BZÖ-Spitzenkandidat Peter Westenthaler im Wiener Standard. "Kinderschänder gehören lebenslang weggesperrt und beobachtet", so der zum BZÖ übergelaufene einstige FPÖ-Klub-obmann. Angesichts solcher Aussagen stellt sich die Frage, worin sich das BZÖ denn von der FPÖ unterscheidet: "Wir betreiben keine 'Ausländer raus'-Politik", meinte Westenthaler. Nur jene, "die Gesetze brechen, die illegal hier sind, die Asyl mißbrauchen, die sich nicht integrieren wollen", sollten das Land verlassen. "Das ist ein riesiger Unterschied zu Herrn Strache", so Westenthaler. Mit der Tatsache, daß seit Antritt der "Wende"-Regierung von Kanzler Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 mehr Einwanderer denn je in Österreich leben, konfrontierte der Standard Westenthaler leider nicht.

In der Einwanderer-Frage stellen die Grünen das Kontrastprogramm dar: klar für eine Erweiterung des Asylrechts, mehr Rechte für Zuwanderer - auch für Illegale. Andererseits gerieren sie sich auch als "soziale" und "Jugend"-Partei, die beispielsweise gegen die Studiengebühren kämpft, welche im Wintersemester 2001 von der damaligen ÖVP-FPÖ-Koalition beschlossen worden sind. Daß - angesichts des schwachen BZÖ - dennoch über Schwarz-Grün spekuliert wird, zeigt, wie nah sich beide trotz allen Wahlkampfgetöses gekommen sind. Auch die vom Bawag-Skandal (JF 31-32/06) gebeutelte SPÖ kann sich noch Chancen ausrechnen: Schwarz-Rot gilt als die wahrscheinlichste Koalition.


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