© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/06 25. August 2006

Träumen von der Großen Koalition
Italien: Nach hundert Tagen Prodi-Regierung ist auch in den eigenen Reihen Ernüchterung eingetreten
Paola Bernardi

Die ersten hundert Tage nach Romano Prodis Regierungsantritt waren geprägt von Protesten, inneren Querelen und Turbulenzen. Was kein Wunder ist, denn allein die schiere Größe dieser bunten Koalition mit neun Parteien von Mitte-Links bis Linksaußen (JF 17/06) verspricht nun einmal keine Harmonie, geschweige Einigkeit. Zudem stellt sie mit 102 Regierungsmitgliedern die byzantinischste der italienischen Nachkriegszeit dar. Jede Parlamentsabstimmung wird zur großen Kraftprobe.

Die kleinen Koalitionspartner - vor allem die beiden kommunistischen Parteien PRC und PdCI - funken immer wieder dazwischen. Die Regierung zeigt bereits erste Risse auf. Um sie bei der Stange zu halten, mußte Regierungschef Prodi bis jetzt bereits siebenmal die Vertrauensabstimmung bemühen, um seine Gesetze durch Abgeordnetenkammer und Senat zu peitschen. Die Abtrünnigen sollen somit diszipliniert werden. Die Mitte-Rechts-Opposition verliert außerdem die Möglichkeit, Einwände oder abweichende Meinungen vorzubringen. Sogar der postkommunistische Staatspräsident Giorgio Napolitano mahnte die Parteien eindringlich, zu einer sachlichen Konfrontation zurückzukehren.

"Ich werde fünf Jahre regieren"

Angesichts dessen geistert immer häufiger der Begriff "Merkel-Phase" durch die politischen Diskussionen. Die Große Koalition in Deutschland erscheint wie eine rettende Vision. Der Parteichef der konservativ-christdemokratischen UDC, Pier Ferdinando Casini, träumte im "politischen Sommerloch" sogar lauthals von einer Großen Koalition - unter Ausschluß der Kommunisten und der rechten Lega Nord.

Doch Prodi dementiert vehement: "Wir sind mit unserem Programm angetreten und werden es durchziehen." Und gebetsmühlenartig betont er: "Ich werde fünf Jahre regieren." Die konservativ-liberale Forza Italia (FI) von Ex-Premier Silvio Berlusconi hält eine große Koalition für "unrealistisch". Sie hofft darauf, daß sie nicht lange halten wird - wofür einiges spricht.

Außenminister Massimo D'Alema von den postkommunistischen Linksdemokraten (DS) mußte erst mit seinem Rücktritt drohen, bevor seine Ex-Genossen von PRC und PdCI die italienische Beteiligung am Afghanistan-Einsatz absegneten. Hier kam dann sogar die Opposition der bedrängten Regierung mit ihren Stimmen zu Hilfe. Um Italien gleich zu Beginn der Regierungszeit dennoch international zu profilieren, rief D'Alema Hals über Kopf eine Libanon-Konferenz in Rom ein. Nachdem diese sich als teurer Flop erwies, reiste D'Alema in die Region, um Italiens Rolle im Nahen Osten zu betonen.

Am Wochenende bat schließlich der israelische Premier Ehud Olmert die italienische Regierung, die Führung der UN-Friedenstruppe im Libanon (Unifil) zu übernehmen. Das überrascht, denn D'Alema betonte zuvor seine pro-arabische Einstellung. Das Bild, wie D'Alema am 14. August Arm in Arm mit einem Hisbollah-Vertreter durch Beirut läuft, erregte nicht nur den Zorn der Opposition.

Für Koalitionsärger sorgten übrigens auch die "herzlichen" Glückwünsche zum 80. Geburtstag von Fidel Castro: "Lang lebe der teure Kommandant", hieß es in dem Schreiben des altkommunistischen Parlamentspräsidenten Fausto Bertinotti. "Wir hätten uns wenigstens einen Hinweis auf die Einhaltung von politischen und Menschenrechten gewünscht", kritisierte Mauro Fabris von der Regierungspartei Udeur - einer Links-Abspaltung der einst mächtigen Democrazia Cristiana (DC).

Den größten Ärger handelte sich Prodi allerdings mit seinem Versprechen ein, die wirtschaftliche Liberalisierung in Italien voranzutreiben. Dabei sah es so aus, als würde seine Regierung nur zur politischen Vendetta gegen die frühere Mitte-Rechts-Regierung ausholen. Denn die Liberalisierungen betreffen bislang nur Freiberufler wie Taxifahrer, Anwälte und Architekten. Mit ihnen war vorher auch kein Konsens vereinbart worden, sondern bei diesen Gruppen, die "rechts" wählen und zur politischen Gefolgschaft von Berlusconi zählen, konnte die neue Regierung ihre Muskeln spielen lassen.

So sollte es künftig einfacher und billiger sein, eine Taxilizenz zu bekommen - doch der Lizenzverkauf ist faktisch die Altersversorgung der Taxifahrer. Tagelang litten die Italiener unter einem Taxistreik, bis der zuständige Minister Pierluigi Bersani (DS) Zugeständnisse machte. Wie mit mehr Taxilizenzen das hohe Staatsdefizit verringert werden soll, weiß niemand. Und an eine wirkliche Liberalisierung etwa bei den Industrieunternehmen oder beim bürokratischen Staatssektor, der immerhin fast 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgibt, wagt sich diese Regierung vorläufig noch nicht heran. Denn bereits jetzt haben die Gewerkschaften - wie schon unter Berlusconi - mit Generalstreik gedroht.

Auch die von der Regierung verabschiedete Amnestie für etwa 12.000 Strafgefangene (um die italienischen Gefängnisse zu entlasten) sorgt weiterhin für erhebliche Polemik. Allein in Rom wurden 2.000 Verurteilte vorzeitig freigelassen. Diese Ex-Häftlinge haben in der Regel aber weder Wohnung noch Arbeit. 13 Millionen Euro stellte die Regierung bisher zur Verfügung, um die soziale Wiedereingliederung zu erleichtern.

Daß die ersten schon bald wieder rückfällig werden, war absehbar - und ein gefundenes Fressen für die Opposition, speziell die norditalienische Lega Nord. Der Präsident der Region von Venetien, Giancarlo Galan, hat daher einen Prozeß gegen die Regierung in Rom angestrengt. Es gehe dabei um Schäden, die der Region durch die vorzeitige Entlassung der Verurteilten entstünden, so der Lega-Politiker.

Die neue Ausländerpolitik stößt auf heftigen Widerstand

Angesichts des neuen Ansturms von illegalen Einwanderern auf die Insel Lampedusa (JF 4/04) sorgt speziell die neue Ausländerpolitik stößt auf heftigen Widerstand - bei der Opposition und vor allem auch in der Bevölkerung. Stein des Anstoßes ist die Entscheidung der Mitte-Links-Regierung, schätzungsweise 350.000 Illegalen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.

Außerdem beschloß das Prodi-Kabinett, daß gemeldete Ausländer nach fünf Jahren - statt bisher zehn - die italienische Staatsbürgerschaft erhalten sollen. Angesichts dieser Freizügigkeit zeigte sich EU-Innenkommissar Franco Frattini besorgt. Berlusconis früher Innenminister verlangt, angesichts der Terror-Gefahr müsse jeder einzelne Fall genauestens geprüft werden, damit kein EU-Recht verletzt werde.

Berlusconi selbst, der schon Ende April eine Große Koalition vorgeschlagen hatte, hielt sich im Sommer diesbezüglich zurück. Spätestens am 29. September wird wieder vom "Cavaliere" zu hören sein: Zu seinem 70. Geburtstag erscheint seine neue CD. Wie bei den beiden vorherigen - mit neapolitanischen Liebesliedern - erneut unterstützt von dem 43jährigen Musiker Mariano Apicella aus Neapel.

Foto: Außenminister D'Alema (M.) mit libanesischem Amtskollegen Salloukh (r.) und Hisbollah-Vertreter: Ärger in der Koalition


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