© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

Meldungen

Deutschland zwischen Erfolg und Verfall

MÜNCHEN. Bücher, die im Titel vom nahen Ende des "Modells Deutschland" künden, haben augenblicklich Konjunktur. Angesichts solcher Krisendiagnosen möchte der Zeithistoriker Andreas Rödder ein wenig die Maßstäbe geraderücken (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 3/06). Viele Probleme und Entwicklungen seien überhaupt keine spezifisch deutschen Phänomene, sondern typische Transformationsvorgänge im Übergang der klassisch-modernen Industriegesellschaften zu postmodernen Dienstleistungs-Industriegesellschaften. Die gegenwärtige Lage lasse sich daher nicht simpel durch den Umschlag der deutschen "Erfolgsgeschichte" in eine "Verfallsgeschichte" analysieren. Die Bundesrepublik werde zur Zeit lediglich von allgemeinen Entwicklungen eingeholt. Erste Wandlungsprozesse und Anpassungsleistungen des Wirtschaftssystems auf die forcierte Globalisierung seien ebenso zu registrieren wie positive "Umbauten" des Sozialstaates und des Arbeitsmarktes. Man dürfe nur nicht "pfadabhängig" den Spuren der Erfolgsgeschichte folgen, die es vielmehr in ihrer Ambivalenz zu erkennen gelte. Denn die Wiedervereinigung habe eine späte Blüte des "Modells Deutschland" bewirkt und die gar nicht zur Erfolgsgeschichte passenden, schon in den siebziger Jahren offenkundigen Strukturprobleme nochmals verdeckt, auf die die USA und Großbritannien frühzeitig mit "marktradikalen Reformen" reagiert hätten.

 

Heidegger: Ich-Verlust im Schützengraben

BERLIN. Daß das "Kriegserlebnis" von 1914/18 ausgerechnet den nicht frontdiensttauglichen Martin Heidegger nachhaltig geprägt habe, scheint zu den gesicherten Erkenntnissen philosophiehistorischer Forschung zu zählen. In die Daseinsanalyse in "Sein und Zeit" (1927), mehr noch in das Pathos der "Härte und Schwere" in der Metaphysik-Vorlesung von 1929/30, habe ein positives Kriegserlebnis Eingang gefunden, das auf Heideggers NS-Engagement vorausweise. Der Hallenser Philosoph Robert Schnepf zeigt erstmals auf, welche literarische Vermittlung Heideggers bellizistische Daseinsanalyse zurückgeht (Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2/06). Es ist die Kriegsmetaphysik des Heidegger wohl auch persönlich bekannten Altersgenossen Hellmut Falkenfeld, der auf ein reales Fronterlebnis verweisen konnte. Doch habe dieser jüdische Neukantianer, der nach 1918 im sozialistischen Lager stand, aus den Angsterfahrungen des Schützengrabens im Ersten Weltkrieg denkerische Konsequenzen gezogen, die seine politische Philosophie gegen jede nationalsozialistische Anfechtung immunisierten. Denn Falkenfeld habe die "Ich-Substanz", die in den Materialschlachten verlorenging, im Frieden restituieren wollen und auf eine "Renaissance der Kultur" gesetzt. Für Heidegger habe sich dagegen in dem als Angst erfahrenen Ich-Verlust die "eigentliche Verfaßtheit des Daseins" offenbart, die im Frieden vom uneigentlichen "Betrieb" verdeckt werde. Aus der hier bei ihm angelegten "Destruktion des Subjektbegriffs" lasse sich dann die 1933 postulierte Hingabe an "vermeintlich übergeordnete Instanzen wie Volk und Nation" verstehen.

 

Erste Sätze

Die einschlägige Forschung hat über alle Zweifel hinaus nachgewiesen, welche Fülle von Genie und Hochbegabung in mehr als vier Jahrhunderten aus dem protestantischen Pfarrhaus hervorgegangen ist.

Walter Lenning: Gottfried Benn in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1962


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