© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

"Aber Israel hört nicht zu"
J. Gaarder will es aufrütteln
Thorsten Thaler

Eigentlich wollte er sich zum Nahost-Konflikt nicht mehr äußern, eine Diskussion über Israel sei ja doch nicht möglich. "Sobald man den Staat Israel angreift, bekommt man den Vorwurf des Antisemitismus hinterhergeworfen." Deshalb müsse er sich von der weiteren Debatte zurückziehen, ließ der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder (54) verlauten, nachdem sein in der Osloer Tageszeitung Aftenposten am vorvergangenen Samstag veröffentlichter Essay zum Existenzrecht Israels weit über die Landesgrenzen hinaus für heftigste Empörung gesorgt hat.

Intellektuelle, Politiker und Angehörige der jüdischen Gemeinde hatten Gaarder Antisemitismus vorgeworfen. Norwegens Außenminister Jonas Gahr Støre kritisierte Gaarders Attacke als "nicht akzeptabel und beunruhigend". Das Wiener Simon-Wiesenthal-Center warf dem Autor vor, er habe "seine logische Klarsicht verloren und sich von den Kräften der Finsternis einspannen lassen". Und die norwegische Schriftstellerin und Jüdin Mona Levin urteilte, Gaarders Angriff auf Israel sei "das Widerlichste", was sie seit Hitlers "Mein Kampf" gelesen habe.

Existenzrecht Israels in den Grenzen von 1948

Jetzt hat der international bekannte Verfasser des philosophischen Bestsellers "Sophies Welt", der in 40 Sprachen übersetzt und verfilmt wurde, einige seiner Formulierungen relativiert und seine Israel-Kritik als "Notschrei" bezeichnet. Wiederum in der Aftenposten schrieb er nun, sein Text sei von vielen mißverstanden worden. Gaarder: "Ich bestreite nicht das Existenzrecht des Staates Israel in den Grenzen von 1948, sondern in denen nach der Grenzerweiterung 1967."

In dem inkriminierten Beitrag hatte er noch erklärt, den Staat Israel nicht länger anzuerkennen. "Wir glauben nicht an die Idee eines von Gott auserwählten Volkes. Wir lachen über die Hirngespinste dieses Volkes und weinen über seine Untaten. Als Gottes auserwähltes Volk zu handeln ist nicht nur dumm und arrogant, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir nennen es Rassismus", schrieb Gaarder.

Und weiter: "Wir anerkennen Europas tiefe Verantwortung für das Leid der Juden und nehmen sie auf uns, für die schändliche Verfolgung, die Pogrome und den Holocaust. Es war eine historische und moralische Notwendigkeit für die Juden, ihre eigene Heimat zu erhalten. Der Staat Israel hat jedoch mit seiner skrupellosen Kriegführung und seinen abscheulichen Waffen seine eigene Legitimität massakriert."

Israel habe internationales Recht, internationale Konventionen und unzählige UN-Resolutionen zum Gespött gemacht, und könne nicht länger Schutz von diesen erwarten. Die Umwelt solle gelassen reagieren, so Gaarder, "wenn die gesamte israelische Nation ihrem eigenen Handeln erliegen sollte und Teile der Bevölkerung aus den besetzten Gebieten in eine neue Diaspora fliehen müssen".

Scharf formuliert er: "Zweitausend Jahre lang haben wir die Lektion des Humanismus einstudiert, aber Israel hört nicht zu. (...) Es ist der Staat Israel, der den dem internationalem Recht entsprechenden Staat Israel von 1948 nicht anerkennt, respektiert und sich auf ihn bezieht. Israel will mehr; mehr Wasser und mehr Dörfer. Um das zu erreichen, gibt es jene, die, mit Gottes Hilfe, eine Endlösung des palästinensischen Problems wollen."

Nun erklärte Gaarder, er habe Angst davor, "daß Israels unversöhnliche Politik gegenüber seinen Nachbarn auf lange Sicht eine Gefahr für Israel selbst sein kann". Er sei weder dafür, noch sehe er es als möglich an, daß israelische Bürger jemals ihr Land verlassen müßten.


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