© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

Lucy Redler
Rächerin der Enterbten
von Victor Gaché

Lucy Redler hätte es einfacher haben können. Wäre die Spitzenkandidatin der Berliner WASG für die bevorstehende Abgeordnetenhauswahl Mitglied der SPD oder PDS, hätte sie - dank Frauenquote - vermutlich schon längst ein Parlamentsmandat, so wie etwa Andrea Nahles (SPD) oder Katja Kipping (Linkspartei).

Aber Lucy ist noch einen Tick radikaler und kompromißloser als die beiden linken Kratzbürsten. Lucy geht mit dem Kopf durch die Wand. Mit Lafontaine und Gysi hat sie es aufgenommen und hat ihren Willen bekommen: Nach langen Auseinandersetzungen tritt die Berliner WASG am 17. September gegen die in der Hauptstadt mächtige PDS an, weil sie, wie Redler formuliert, eine Politik ablehnt, die "die Armen ärmer und die Reichen reicher macht".

Als neudeutsches Robin-Hood-Remake kämpft die Rächerin der Enterbten gegen den rot-roten Senat, der sich die Konsolidierung des Landeshaushalts zum Ziel gesetzt hat. Selbst die SED-Nachfolger betrachtet Redler deswegen als "Neoliberale" - und das ist für Linke allemal so schlimm, wie "Neonazi" zu sein. Selbst die taz ängstigte sich während eines Interviews mit "der roten Luzie", in den Verdacht des "Neoliberalismus" zu geraten.

Redler wurde 1979 im niedersächsischen Hannoversch Münden geboren. Sie hat den realexistierenden Sozialismus nicht erlebt. 1989 hat sie, als in Berlin die Mauer fiel, in Kassel ihre Puppen gekämmt. Politisiert wurde sie erst in den Neunzigern - beim identitätsstiftenden Lichterkerzen-Event jener Tage: den Anti-Rechts-Demos. In Hamburg kandidierte sie 2002 und 2004 vergeblich für linksextreme Splittergruppen. Dann ging sie nach Berlin. Aber statt sich mit den Folgeschäden des Sozialismus vertraut zu machen, kaperte die "radikale Sozialistin" (Redler über Redler) mit ihrer trotzkistischen Anhängerschaft aus der SAV (Sozialistische Alternative Voran) die Berliner WASG und brach Streit mit der Bundespartei vom Zaun. "Fast immer steht die PDS auf der falschen Seite", befand sie auf den "Sozialismus-Tagen" im April.

Der Hauptgrund für den Erfolg von Lucys Truppe ist die Kompromißbereitschaft der Berliner Linkspartei. Die Bilanz der SED-Erben ist erbärmlich, sie schlucken eine Kröte nach der anderen: Hauptsache mitregieren! Außerdem ist Lucy Redler ein Medienstar wie früher die PDS-Frontfrauen Sahra Wagenknecht und Angela Marquardt. Eine bürgerliche Splitterpartei bekäme kaum Zugang zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen, "Rechte" schon gleich gar nicht. Redler dagegen war sogar schon bei Christiansen. Sie ist auch die einzige, die präsentabel ist, denn die Basis der Berliner WASG umfaßt nicht viel mehr als ein paar abgewrackte Globalisierungsverlierer, Polit-Grünschnäbel und Möchtegern-Klassenkämpfer.

Dreißig ist das Alter, in dem von einer Person endgültig erwartet werden kann, daß sie erwachsen wird. Für Lucy wird es Zeit. Gestern feierte sie ihren 27. Geburtstag.


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