© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

Opferrolle in Gefahr
von Matthias Bäkermann

Den Ort für seine Stellungnahme zur zeitgleich in Berlin eröffneten Vertreibungsausstellung "Erzwungene Wege" hatte der polnische Ministerpräsident Jarosław Kaczyński sorgsam ausgewählt: "Es ist wichtig, in Erinnerung zu behalten, wer die Mörder und wer die Opfer waren", mahnte er vom moralisch erhöhten Podest bei der Pressekonferenz im früheren Konzentrationslager Stutthof an der Danziger Bucht. Synchron dazu sagte sein Vorgänger Kazimierz Marcinkiewicz, nun amtierender Warschauer Bürgermeister, mit viel Aplomb seinen Besuch in Berlin ab. Daß polnische Leihgeber ihre Exponate zurückziehen, war bei soviel hochoffizieller Entrüstung nur konsequent.

Doch Warschau scheint über das Ziel hinauszuschießen. Allmählich schwindet hierzulande jeder Glauben an ein polnisches Bemühen um ehrliche historische Auseinandersetzung. Selbst der polonophile SPD-Politiker und ewige BdV-Kritiker Markus Meckel findet die Reaktionen "unangemessen", da die Ausstellung doch "im wesentlichen in Ordnung" sei. Die politisch korrekte Darstellung, die das Thema Vertreibung weitestgehend internationalisiert und das eigene deutsche Trauma an den Rand gedrängt hat, läßt so ein Urteil wohl zu. Davon läßt sich aber der "breite Konsens in Polen gegen die Ausstellung", so die ehemalige Beauftragte für deutsch-polnische Beziehungen Irena Lipowicz, kaum beeindrucken. Der Auftritt in Stutthof offenbart vielleicht, warum das so ist: Selbst die rundgelutschteste Vertreibungsschau dürfte nicht umhinkönnen, an der ewigen Opferrolle - einem nahezu nationalen Mythos östlich der Oder - zu kratzen.


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