© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/06 11. August 2006

Youtube.com als Vorreiter: Unsere Welt im Spiegel der Video-Botschaften
Alternative Filmkultur
Frank Liebermann

David springt durch sein Badezimmer. Immer wieder stößt er laute spitze Schreie aus, das ist seine Art zu singen. Eine seltsame Verrenkung jagt die nächste. David hüpft wie eine Mischung aus Mick Jagger und Billy Idol durch die Gegend. Irgend jemand filmt ihn. Dann kommt die Mami ins Badezimmer. Lautes Gekreische folgt. Ein paar Wochen später hat sich das Leben von David geändert. Zuerst stand der Film nur auf seiner Homepage. Dann wurde auf dem Onlineportal Youtube.com ein Link auf den Film veröffentlicht. Mehrere Millionen Menschen haben sich seinen Auftritt seither im Internet angesehen. Der 11-Minuten-Clip war so erfolgreich, daß ihn mehrere Fernsehsender veröffentlichten. Damit war aber noch lange nicht Schluß. David wurde vom Musiksender MTV unter Vertrag genommen und soll dort jetzt seine Karriere fortsetzen. Auch andere Firmen haben sich mittlerweile bei ihm gemeldet und angeboten, ihn zu sponsern.

Jugendsender im TV suchen Anschluß an die Subkultur

Die Reaktion von MTV zeigt vor allem eines: Fernsehsender haben die stetig wachsende Subkultur bisher kaum wahrgenommen und sie schlicht unterschätzt. Das scheint sich nun zu ändern. Verschiedene Internetportale - Youtube.com ist nur ein Anbieter, allerdings der am schnellsten wachsende - werden zu einer ernstzunehmenden Gefahr für die Fernsehsender und Filmstudios. Das hat im wesentlichen zwei Gründe. Preise für die Produktion von Filmen sind deutlich gesunken. Günstige Kameras kosten nur noch einen Bruchteil dessen, was noch von ein paar Jahren üblich war. Die Technologien in diesem Bereich sind inzwischen so ausgereift, daß auch mit geringem finanziellem Aufwand technisch anspruchsvolle Projekte realisierbar sind. Zum Entwickeln und Schneiden von Filmen ist nur noch ein Computer notwendig, dasselbe gilt für die Herstellung von kleineren Spezialeffekten. Der eigentliche Durchbruch ist allerdings mit bezahlbaren und hohen Bandbreiten für Internetverbindungen für die breite Masse der Bevölkerung gekommen. Heutzutage lassen sich Filme schnell und günstig herunterladen.

Youtube.com zählt inzwischen zu den beliebtesten Internetseiten weltweit. Bis zu 100 Millionen Klicks verbucht die Website täglich. Pro Woche kommen über 200.000 Filme neu hinzu. Damit ist Youtube in die Liga von Firmen wie Yahoo, Amazon oder AOL vorgestoßen. Der Vorgang ist denkbar einfach. Jeder kann seine eigenen Filme auf dem Forum abladen. Einzige Bedingung ist ein Internetzugang und eine Anmeldung bei dem Dienst, der gratis ist und sich in wenigen Minuten aktivieren läßt. Zensoren gibt es nicht. Die einzigen Verbote beziehen sich auf pornographische und andere illegale Inhalte. Wer gegen diese Vorgaben verstößt, wird von dem Dienst ausgesperrt.

Das Unternehmen ist noch sehr jung. Gegründet wurde es von ehemaligen Mitarbeitern des Internetzahlungssystems PayPal im Jahr 2005. Im Moment hat es rund 30 Mitarbeiter, von denen vier damit beschäftigt sind, illegale Videos herauszufiltern.

Youtube richtet sich vor allem an die ambitionierten Amateure. Professionelle Regisseure haben hier nichts verloren. Die Filme lassen sich in verschiedene Kategorien unterteilen. Zum einen gibt es die Pleiten-Pech-Pannen-Videos, bei denen der Onkel auf der Hochzeit filmt, wenn der betrunkene Bräutigam stolpert und der Braut das Kleid herunterreißt. In einer unüberschaubaren Vielzahl sind ebenso Musikvideos und Auszüge aus Sendungen und Sportübertragungen zu sehen, oftmals skurrile Mitschnitte, die in der Regel auf die Lachmuskeln zielen und nicht selten gegen das Urheberrecht verstoßen dürften.

Für linke "Blogwarte" zuviel Demokratie auf dem Server

Sodann gibt es Filme, die speziell für das Internet erstellt wurden. Oft sind hier Kunststudenten oder Hobbyregisseure zu finden, die bei den großen Studios vor der Tür bleiben mußten und sich nun in ihrer Freizeit austoben. Doch das ändert sich allmählich. Talentscouts der Filmindustrie durchforsten systematisch die Portale und suchen Nachwuchs.

Soviel Demokratie und Selbstbestimmung ist nicht immer gern gesehen. Kein Wunder, daß auch hier die deutsche Linke schell mobil gemacht hat. Spiegel-Online titelte rasch "Youtube zeigt Nazi-Videos". Der Grund: Videos und Musik, die in Deutschland indiziert sind, können hier gezeigt werden. Videos von Bands wie Landser oder Böhse Onkelz, für den Spiegel noch immer der Inbegriff des Bösen, sind auf der Internet-Seite zugänglich. Die linken "Blogwarte" haben natürlich gleich "Meldung" gemacht.Die Beschwerdestelle von "Jugendschutz.net" schritt ein, manche Beiträge können jetzt nur noch via Registrierung geschaut werden. Allerdings laufen die politisch-korrekten "Blogwarte" meist auf. Da viele Daten auf ausländischen Servern liegen und die Betreiber in Kalifornien sitzen, kümmern sie sich wenig um die deutschen Zensurversuche, da viele der Inhalte in den USA nicht verboten sind.

Social-Networking-Internetseiten (Auswahl): www.youtube.com / video.google.de / myvideo.de / ifilm.com / myspace.com


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