© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/06 11. August 2006

BRIEF AUS BRÜSSEL
EU-Ohnmacht im Libanon
Andreas Mölzer

Gerne möchte die EU eine bedeutende Rolle in der Weltpolitik spielen. Doch in Krisensituationen bietet Brüssel ein Bild der Ohnmacht und Hilflosigkeit. So konnte ein Beschluß der EU-Außenminister zu einer Waffenruhe im Libanon erst nach langwierigen Verhandlungen und dann auch nur in abgeschwächter Form gefaßt werden. Denn London, der verlängerte Arm Washingtons in der EU, hatte sich gegen die Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe quergelegt, damit die Europäer die Pläne der USA und Israels zur "Neugestaltung" des Nahen Ostens nicht durchkreuzen. Auch Deutschland, das zu Beginn des Irak-Krieges noch in klarer Opposition zum weltweiten US-Vormachtstreben stand, gibt sich nun unter Angela Merkel handzahm - die "transatlantische Partnerschaft" soll nicht belastet werden.

Mit ihrer offenkundigen Hilflosigkeit macht sich die EU nicht nur einmal mehr zum weltweiten Gespött, sondern zeigt damit auch, was vom Geschwätz von den "europäischen Werten" zu halten ist. Einerseits will sie den Frieden im Einklang mit der Uno-Charta wahren, andererseits kann sie sich nicht dazu durchringen, die völkerrechtswidrige Gewaltpolitik Israels und der USA klar zu verurteilen. Und wenn den EU-Granden bewußt wird, daß sie mit ihrer Politik der Ohnmacht der Tötung von Frauen und Kindern Vorschub leisten, dann zücken sie das Scheckbuch. Auf Kosten der EU-Steuerzahler wird versucht, mit Hilfszahlungen das schlechte Gewissen zu beruhigen.

Es gibt zig Beispiele dafür, wie sehr die EU ihre außenpolitische Rolle nur als Financier sieht. Die Palästinenser konnten durch EU-Milliarden überleben, wichtige Infrastrukturprojekte wie der Flughafen von Gaza konnten nur mit Brüsseler Geldern realisiert werden. Wenn diese dann bei israelischen Angriffen zerstört werden, bleibt der große Aufschrei aus, und an Sanktionen ist erst recht nicht zu denken. Ganz anders verhält sich Brüssel allerdings, wenn es um von den USA ernannte "Schurkenstaaten" geht. Dann findet - wie das Beispiel des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zeigt - die EU-Polit-Nomenklatura plötzlich scharfe Worte und droht ohne Zögern mit Sanktionen.

Um sich von ihrer außenpolitischen Ohnmacht zu befreien, müßte die EU nicht nur lernen, endlich mit einer Zunge zu sprechen. Vielmehr müßte sie zuerst klären, worin sie eigentlich ihre Rolle in der Weltpolitik spielen will, die immer wieder von den Eurokraten bei Sonntagsreden beschworen wird. Eine Möglichkeit wäre, seinen Platz als Handlanger der Washingtoner Aggressionspolitik zu sehen und die USA und Israel bei der "Neugestaltung" des Nahen Ostens zu unterstützen. Allerdings blieben dabei nicht nur die vielbeschworenen europäischen Werte auf der Strecke, sondern Europa würde sich darüber hinaus an den im Namen der "Demokratisierung" und der "Terrorbekämpfung" verübten Kriegsverbrechen mitschuldig machen. Die andere Möglichkeit wäre, endlich Selbstbewußtsein zu zeigen und Völkerrechtsverstöße, wer auch immer der Urheber sein möge, keinesfalls zu dulden. Der zweite Weg mag zwar der beschwerlichere sein, aber er könnte die Glaubwürdigkeit Europas als "ehrlicher Makler" zur Schlichtung internationaler Konflikte stärken.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen