© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

Frisch gepresst

Danzig. Die im letzten Frühjahr veröffentlichte Kölner Dissertation von Wolfgang Gippert, entstanden an der dortigen Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, führt einen ausgesprochen nichtssagend-abschreckenden Titel: "Kindheit und Jugend in Danzig 1920 bis 1945. Identitätsbildung im sozialistischen und im konservativen Milieu" (Klartext Verlag, Essen 2005, broschiert, 552 Seiten, 32 Euro). Man kann eigentlich nichts anderes erwarten als eine dieser unlesbaren statistischen Materialschlachten, die zum unverkäuflichen Markenzeichen bundesdeutscher Sozialgeschichte avancierten. Also in diesem regionalen Sonderfall etwa eine Version der "Blechtrommel" mit Tabellen und Anmerkungen. Doch man wird angenehm enttäuscht. Mag der Leser viele der politisch allzu korrekten Wertungen des Autors auch nicht teilen, so erwartet ihn außer fast nebensächlich wirkenden sozialpsychologischen Erkundungen der jugendlichen Danziger Volksseele primär eine faktenreiche Geschichte der "Freien Stadt" in der Zwischenkriegszeit, wie man sie eher in Frank Fischers jüngster, aber in dieser Hinsicht eher enttäuschenden Monographie über die Königin der Weichsel (JF 16/06) suchen würde.

Lorenz von Stein. Neben Wilhelm Lehmann (JF 27/06) ist Lorenz von Stein mit weitem Abstand der bedeutendste Sohn des eher weniger bedeutenden Hafenortes und Seebades Eckernförde. Stein, mit dem Makel der unehelichen Geburt behaftet, aus Schleswig-Holstein nach 1848 wegen seines patriotischen Engagements von den Dänen vertrieben, wurde in Wien zu einem der "Erzväter" der modernen Sozialwissenschaft. Heute ist freilich von ihm kaum mehr in Erinnerung, als daß ohne seine "Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage", nicht zufällig im nachrevolutionären München von Anno 1921 nachgedruckt, der "frühe Marx" kaum denkbar gewesen wäre und, so ungerecht kann das kollektive Gedächtnis im "Land der Ideen" sein, daß er Carl Schmitt angeregt hat, den knappen, aber schwergewichtigen Beitrag "Zur preußischen Verfassungsfrage" von 1852 im Kriegsjahr 1940 der Volksgemeinschaft zu präsentieren. Wer sich über diese Erinnerungstrümmer hinaus den "ganzen Stein" zunächst einmal aus "zweiter Hand" zu Gemüte führen möchte, ist mit der Tübinger Habilitationsschrift von Stefan Koslowski gut bedient, wenn auch die fünfzig Jahre alte Handreichung des Eckernförder Bürgermeisters Werner Schmidt immer noch den erheblich bequemeren "geistesgeschichtlichen" Zugang vermittelt (Zur Philosophie von Wirtschaft und Recht. Lorenz von Stein im Spannungsfeld zwischen Idealismus, Historismus und Positivismus. Duncker&Humblot, Berlin 2005, broschiert, 479 Seiten, 74 Euro).

Dosenpfand und Tatort. Eine für Deutschland typische Disziplin entlädt sich momentan in einer auffälligen Konjunktur von Büchern, die mit unterschiedlichem Ansatz der Frage nach dem deutschen Selbst nachgehen. Nach der nationalen Selbstfindung des langjährigen Spiegel-Korrespondenten Matthias Matussek oder den 250 Dingen, die Florian Langenscheidt an Deutschland lieb hat, probiert - bisweilen etwas gewollt wirkend - Klaus Werle, Manager Magazin-Redakteur, auf launige Art die Frage zu beantworten, "was Deutschland eigentlich zusammenhält". Gott sei Dank kommt er mit wesentlich weniger "Puzzleteilen" als Langenscheidt aus. In kurzweiliger Manier klappert Werle allerlei amüsante Oberflächlichkeiten ab (Mülltrennung, Döner, Raumordnungspläne), die aber die Komik eines oft gesehenen Sketches haben. Das Stehenbleiben an Ampeln läßt er aus (Deutschland-Puzzle. 20 Teile - von ADAC bis Vollkornbrot. Herder Verlag, Freiburg 2006, broschiert, 160 Seiten, 7 Euro).


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